Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken
Springender Dachs stand ihm gegenüber auf der anderen Seite des Feuers. »Wie geht es dir, Vetter?« »Ich lebe noch«, entgegnete er. »Und das ist mehr, als ich von Moosschnabel und Schädelkappe behaupten kann. Wo ist das Kind?«
»Wir haben ihn unter dem Sonnenjungen angepflockt, obgleich ich nicht davon überzeugt bin, dass er für ihren Tod verantwortlich ist. Darüber müssen wir uns noch eingehender unterhalten, aber berichte zuerst vom Buntfelsendorf.«
»Es war ein großer Erfolg«, sagte Springender Dachs und rieb sich die Stirn, als sei er sehr erschöpft. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Wir griffen an, raubten das Kind und brannten das Dorf nieder. Ich …«
»Und anschließend habt ihr die Überlebenden verfolgt. Das berichtete Moosschnabel jedenfalls. Ist das wahr?«
Springender Dachs zog die Brauen zusammen. »Ja. Aber das war eine Kleinigkeit. Es waren nicht sehr viele.«
In einer dunklen Ecke des Langhauses lehnte ein Stock, und auf diesem Stock steckte ein schauerlich anzuschauender Schädel. Der süßliche Verwesungsgestank waberte durch den ganzen Raum. Blauer Rabe fixierte Springender Dachs mit einem durchdringenden Blick. »Auf wessen Befehl hin hast du das getan? Ich kann mich nicht erinnern, dass die Anführerinnen dich beauftragt hätten, alle Bewohner des Buntfelsendorfs zu töten.«
»Hättest du sie lieber hier, Vetter?«, konterte Springender Dachs. »Mitten auf unserem Dorfplatz, die Bögen im Anschlag? Wenn nur ein einziger am Leben geblieben wäre, um uns zu verfolgen, glaubst du nicht, dass er es dann auch getan hätte? Welcher deiner Angehörigen wäre wohl getötet worden? Sie hätten alles versucht, um das Falschgesicht-Kind zu retten! Na? Nenn mir einen Namen - oder schweig!«
»Ich …«
Siebenstern hob eine Hand, um den Disput zu unterbrechen. »Bitte, Blauer Rabe, setz dich neben deine Mutter. Und du, Springender Dachs, nimm hier neben mir Platz. Trinkt erst einmal eine Schale Minztee.« Sie deutete auf den Kessel, der an einem Dreibein über den Rammen hing. Neben den Randsteinen der Feuerstelle standen zusätzliche Schalen bereit. »Dies war ein langer Tag, für uns alle.«
Blauer Rabe ließ sich schweigend neben Frost-auf-den-Weiden nieder, Springender Dachs im Auge behaltend, der sich neben Siebenstern auf eine Felldecke hockte. Seinem Gesicht war zu Stein erstarrt. Blauer Rabe nahm sich eine Trinkschale und füllte sie mit heißem Tee. Springender Dachs war aufgrund seines Wagemuts zum Kriegsführer ernannt worden. Und wagemutig war er tatsächlich. In seinem ersten Kampf, er zählte damals gerade sechzehn Winter, hatte er vier feindliche Krieger getötet. Seither hatten weitere zwölf unter seinem Bogen oder seiner Kriegskeule das Leben gelassen. Wenn es zum Kampf kam, handelte er furchtlos, ja sogar rücksichtslos. Jeder Beutezug nährte seinen Ruf als tollkühner Krieger.
»Vergib mir, Vetter«, ergriff Blauer Rabe wieder das Wort.
»Ich hätte anders beginnen sollen. Dein Kriegszug ist sehr erfolgreich verlaufen. Dafür ist dir unser Volk zu Dank verpflichtet. Bist du während des Kampfes verwundet worden?«
Springender Dachs schöpfte sich eine Schale Tee aus dem Kessel und hielt sie mit beiden Händen, um sich daran die Finger zu wärmen. »Hört zu, alle Geschöpfe des Himmels, der Wälder, Wiesen, Seen und auch die, die unter der Erde leben, haben sich mit uns verbündet. Unser Triumph war überragend. Wir…«
»Wie viele Krieger haben wir verloren?«, unterbrach ihn Blauer Rabe.
»In der ersten Schlacht, im Nebelschleier-Dorf, verloren wir acht, dann …«
»Nebelschleier?« Frost-auf-den-Weiden beugte sich vor. Im Schein des Feuers schimmert ihr weißes Haar golden. »Aus welchem Grund hast du ihr Dorf angegriffen? Ich entsinne mich keines so lautenden Befehls!«
Siebenstern setzte hinzu: »Ich ebenfalls nicht. Erkläre uns das, Kriegsführer.«
Sumpfbohnes faltige Lippen bebte, als auch sie empört fragte: »Warum hast du unschuldige Menschen überfallen? Sie haben uns doch nie etwas getan.«
In einer beschwichtigenden Geste hob Springender Dachs die Hand. »Ich bitte euch, ehrwürdige Anführerinnen. Hört mich genau an. Wir wollten das Nebelschleierdorf nicht angreifen. Aber uns blieb keine andere Wahl. Ich wies die eine Hälfte meiner Truppe an, sich vom Süden her in einem Halbbogen an das Buntfelsendorf heranzuschleichen und auf mein Signal zu warten. Mit der anderen Hälfte umzingelte ich das Dorf von Norden her, in der Hoffnung,
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