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Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Titel: Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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Siebenstern hatte skeptisch die Augen zusammengekniffen, und Sumpfbohne und Perlenfarn wechselten verwunderte Blicke. Frost-auf-den-Weiden hingegen stieg sichtbar die Zornesröte ins Gesicht. Sie rappelte sich hoch, humpelte auf Zaunkönig zu und packte sie grob an den Schultern.
    Als Zaunkönig ihr trotzig in die Augen blickte, stieß sie ihr einen knochigen Finger in die Brust. »Erspar uns diese Lügen, Mädchen! Bist wohl spielen gegangen und hast die Wasserbeutel vergessen, wie? Stehen sie noch unten am See? Ja, du hast deine Pflichten vernachlässigt und tischst uns jetzt diese unglaubliche Geschichte auf, um dich rauszureden. So ist es doch, oder etwa nicht? Du bist das Unverschämteste Mädchen, das mir je unter die Augen gekommen ist! Leg dich auf dein Lager und zieh dir die Decke über den Kopf. Keiner deiner Angehörigen wünscht heute noch dein Gesicht zu sehen!«
    Zaunkönig starrte sie mit offenem Mund an. »Großmutter, es war nicht meine Schuld! Ich habe …« Die Ohrfeige, mit der Frost-auf-den-Weiden sie zum Schweigen brachte, warf Zaunkönig beinahe um. Die Abdrücke der fünf Finger auf ihrer Wange schwollen knallrot an.
    Blauer Rabe packte seine Mutter am Handgelenk und sah sie bestürzt an: »Beim Geist unserer Ahnen, warum hast du das getan?«
    Zaunkönig flüchtete sich auf ihr Lager, kroch unter die Felldecken und zog sie sich über den Kopf. Mit einem heftigen Ruck befreite Frost-auf-den-Weiden ihre Hand aus Blauer Rabes Umklammerung und funkelte ihn bitterböse an. »Die Abendmahlzeit ist fertig, mein Sohn. Komm ans Feuer und iss.« Damit humpelte sie davon.
    Blauer Rabe fühlte sich ausgelaugt und erschöpft… und hatte noch Pflichten zu erfüllen. Springender Dachs würde heute Abend nicht mehr mit ihm reden, aber vielleicht konnte er einige seiner Krieger zu einem Gespräch bewegen. Er wusste, dass Elchgeweih aufrichtig zu ihm sein würde, und der Gedanke an ihre Augen löste seine Verspannung ein wenig.
    Stirnrunzelnd sah er auf seine Nichte hinab, als er an ihrem Lager vorbeiging. Mucksmäuschenstill lag sie unter ihren Decken und rührte sich nicht.
    Er kniete sich neben sie auf den Boden. »Ich glaube dir, Zaunkönig«, flüsterte er ihr zu. »Es gibt so vieles in der Welt der Geister, das mich fasziniert und verblüfft. Möchtest du mir später mehr über dein Erlebnis erzählen?«
    Eine kleine Hand schob sich unter den Fellen hervor, berührte seine Mokassins und war auch schon wieder verschwunden Blauer Rabe tätschelte die Stelle, unter der er ihren Kopf vermutete, und erhob sich. Als er an Frost-auf-den-Weiden vorbeiging, sagte er: »Ich bin nicht hungrig, Mutter. Zaunkönig und ich werden später essen. Wenn sie sich beruhigt hat«, fügte er hinzu und trat unter dem Türvorhang hinaus in die Dunkelheit.
    Später, gegen Mitternacht, lag er wach auf seiner Bettstatt, den Kopf auf einen Arm gestützt. »Mutter! Mutter, wo bist du?«
    Blauer Rabe wunderte sich, dass irgendjemand bei diesen jämmerlichen Klagerufen schlafen konnte. Er zog sich die dicken Felldecken bis über die Schultern hoch. Sein ergrauendes Haar lag offen auf den Kissen. Neben ihm wälzte sich Zaunkönig unruhig auf ihrem Lager. Die ganze lange Nacht schon zappelte sie herum, warf die Decken von sich und zog sie sich dann wieder über den Kopf. Als er zurückgekehrt war, schlief sie bereits, deshalb hatte er sein Abendessen allein eingenommen, während Frost-auf-den-Weiden nicht müde wurde, über ihre Enkeltochter zu schimpfen. »Das Mädchen ist eine Lügnerin!«, behauptete sie. »Und das ist sie schon immer gewesen. Morgen wirst du es ja selbst sehen. Schick in der Früh jemand hinunter zum See. Dort wird man die Wassersäcke finden. Da bin ich ganz sicher. Deine liebe Nichte hat nur eine Ausrede für ihre Nachlässigkeit gesucht.«
    Möglich wäre es, überlegte Blauer Rabe, aber eigentlich glaubte er das nicht.
    Das Feuer war bis auf wenige rot glühende Holzstücke heruntergebrannt. Nächtliche Stille hatte sich über das Langhaus gesenkt, unterbrochen nur vom leisen Schmatzen eines Säuglings, der an der Brust seiner Mutter trank, und dem unverständlichen Murmeln eines Jungen, der offenbar lebhaft träumte. Zwei der fedrigen Behausungen der Nachtwanderer erschienen über der Öffnung des Rauchabzugs im Dach des Langhauses. Nach all den schlaflosen Nächten, die Blauer Rabe damit zugebracht hatte, durch dieses Loch hinauf in den Himmel zu starren, erkannte er an ihrer Helligkeit, dass es Mitternacht

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