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VT02 - Der gierige Schlund

VT02 - Der gierige Schlund

Titel: VT02 - Der gierige Schlund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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verschluckt worden; im wahrsten Sinne des Wortes.
    Kinga fröstelte. Er streckte sich, und mit einem Mal fühlte er fürchterliche Müdigkeit in seinen Knochen. Die ganze Nacht hindurch war er gemeinsam mit Nabuu und den beiden Dampfmeistern unterwegs gewesen. In einem Wettlauf gegen die Zeit war es ihnen gelungen, das Unmögliche zu schaffen und die Stadt vor dem Untergang zu retten. Doch jetzt forderte die Erschöpfung ihren Tribut. Er musste ruhen, musste all die vielen Eindrücke, die sich in seinem Kopf angesammelt hatten, im Schlaf vergessen.
    Er marschierte schnurstracks zu Zhulu zurück. »Ihr solltet so rasch wie möglich die Schäden in Kilmalie sichten«, sagte er zum Quarting. »Die Gruh scheinen über unheimliche Kräfte verfügen. Kehren sie zurück, müssen die Städter für alles gewappnet sein.«
    »Du hast also den Gedanken aufgegeben, den Gehirnfressern zu folgen?«
    »Keinesfalls! Es erscheint mir allerdings als wenig sinnvoll, ohne Vorbereitungen drauflos zu marschieren. Außerdem möchte ich die Dorfobersten um größtmögliche Unterstützung bitten.«
    Zhulu zögerte einen Moment und sagte schließlich: »Wir kehren in die Stadt zurück und berufen eine Versammlung ein. Dort kannst du dein Anliegen vorbringen.« Er zuckte mit den Schultern. »Erwarte dir nicht allzu viel. Die Kilmalier sind erschöpft, sowohl geistig als auch körperlich.«
    »Ich werde sie zu überzeugen wissen.«
    Ja, das würde er. In ihm steckte ein neues, nie gekanntes Selbstbewusstsein. Er spürte, dass er am wichtigsten Scheideweg seines Lebens stand.
    ***
    Die Nebel verzogen sich endgültig. Graue und schwarze Raaven hoben sich zögerlich aus dem Geäst der Trauerweiden im Süden, die das Unglück der Nacht unbeschadet überstanden hatten. Die Vögel krächzten leiser als sonst. Als spürten sie die Trauer in den Herzen der Kilmalier, denen sie Wappen- und Schutztier waren.
    Von den Palisaden aus bot sich Kinga ein Rundumblick, wie er hoffnungsloser nicht ausfallen konnte. Weite Teile der Farmebenen waren verbrannt, von Schlacke und Asche überzogen. Der finale Schuttberg des Feuerstroms glühte noch nach. Immer wieder brandeten kleine Wassersturzwellen gegen den neu aufgeworfenen Hügel. Dann zischte und krachte es; ab und zu zersprang Gestein und Felssplitter spritzten in alle Richtungen davon, Dutzende Meter weit. Da und dort gab es kleine Inseln des Lebens, in denen sich Getier jeglicher Art versammelt hatte. Ob Jäger oder Gejagte – sie alle hatten sich während der vergangenen Nacht in diesen Oasen aneinandergedrängt und auf ein Ende der Katastrophe gewartet. Nun, da sich die Lage zumindest oberflächlich entspannte, erinnerten sie sich wieder ihrer Rollen im Gefüge der Natur. Pflanzenfressendes Niederwild stob davon, Kriech- und Fluggetier kehrte in seinen Lebensbereich zurück. Die Räuber hingegen besannen sich ihrer leeren Mägen und hetzten der geschwächten Beute hinterher. So, wie es seit Anbeginn der Zeit Gesetz war.
    Dennoch: Das Land hatte sich verändert. Das Leben hatte sich verändert. Nichts würde jemals wieder so sein wie zuvor. All ihr Reichtum, der auf der Kraft des fruchtbaren Bodens beruhte, war dahin.
    »Zahlt es sich denn aus, in Kilmalie zu bleiben?«, stellte Nabuu eine Frage, ohne Antworten zu erwarten.
    Selbstverständlich würden sie mit all ihrer Kraft den Wiederaufbau angehen. Kilmalier waren inniglich mit ihrer Scholle verbunden. Ihre Vorfahren, so sagte man, hatten schon lange vor Beginn des letzten Lebenszyklus hier gesiedelt.
    Kinga ging nicht auf die Frage seines Freundes ein. Ihn beschäftigten andere Sorgen. »Wann beginnt die Versammlung?«, fragte er und gähnte.
    »Geduld, Kinga. Zuerst müssen alle Familien in ihre Stammhütten zurückkehren und die Schäden sichten. Erst dann macht es Sinn, zusammenzukommen und ein weiteres Vorgehen zu planen.«
    Und inzwischen verging wertvolle Zeit! Minuten und Stunden, in denen sich die Gruh weiter von hier entfernten, tiefer und tiefer in die Eingeweide der Großen Grube vordrangen und sich ihren Blicken entzogen. Vielleicht für immer…
    Nabuu deutete auf ein kleines Grüppchen Männer, das sich quer über die Ebene bewegte. Einer schwenkte ein breites, schmutzigweißes Tuch. Das Zeichen der Freundschaft.
    »Das ist Omoko«, murmelte Nabuu.
    »Omoko?« Kinga schreckte aus seinen düsteren Gedanken hoch. Richtig; der Leiter der Defaans hatte sich nicht bei den Kilmaliern befunden, die in einer lang gezogenen Gruppe die Stadt wieder

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