VT02 - Der gierige Schlund
es, ein wenig abseits. Es beobachtete, wie zwei seiner Artgenossen stritten und aufeinander einschlugen.
Weitere Nahrung! Er benötigte nur ein lebendiges Exemplar, um seinen Auftrag zu erfüllen. An den beiden anderen konnte er sich satt essen.
Er sah zu, wie die beiden Menschen aufeinander einschlugen. Einer schien schließlich den Sieg davonzutragen, wurde aber im letzten Moment von der Frau getötet.
Er pirschte sich weiter heran und lauschte im Verborgenen den Worten der Überlebenden. Das Gespräch weckte seltsame Erinnerungen an sein früheres Dasein. Damals, als er wie sie gewesen war.
»… habe ich mit der Waffe auf ihn eingestochen, die du fallen gelassen hast«, sagte das weibliche Nahrungswesen. »Gonho schien es gar nicht zu spüren.«
»Er hatte den Verstand verloren«, sagte der Andere und schüttelte benommen den blutüberströmten Kopf. »Lass uns von hier verschwinden, möglichst rasch. Ich weiß nicht, wie lange ich mich noch auf den Beinen halten kann. Die Beben werden diesen Teil des Höhlensystems über kurz oder lang zerstören.«
Ein Mann war dies, wie er sich in Erinnerung rief. Sie schmeckten anders, nicht so zart und lecker, auch wenn sie meist ein wenig mehr Nahrung in ihren Schädeln verborgen hielten.
»Was geschieht hier?«, fragte die Frau.
»Es interessiert mich nicht; ich will bloß raus. Zurück ans Tageslicht. Aksama hat mir den richtigen Weg gewiesen. Wir müssen hier entlang…«
Sie marschierten davon und stützten sich dabei gegenseitig.
Der Boden bebte nach wie vor in unregelmäßigen Abständen. Von irgendwoher wehte ein Hauch feurigheißer Luft. Es konnte nicht mehr lange dauern, dann würde dieser Bereich des Höhlensystems einstürzen. Irgendwo im Hintergrund, dort wo die Beben am stärksten schienen, erhob sich ein riesiger Leib aus dem Staubdunst hinter einer eingebrochenen Felswand, prallte gegen die Decke seiner Höhle, fiel zurück und blieb eingeklemmt zwischen gewaltigen Felsen liegen. Eine weitere, noch dickere Staubschicht legte sich über das Geschehen, entzog es seinen Blicken.
Er fuhr sich irritiert mit den Handstummeln über die Augen. Ein derart großes Wesen gab es nicht, konnte es nicht geben. Wahrscheinlich hatte er zu viel Energie verbraucht und litt nun unter Nahrungsmangel.
Es wurde ruhig. In manchen Wänden dröhnte der Lärm nach, brachte den einen oder anderen Fels zum Schwingen, bis er zerplatzte – dann versiegten die letzten Geräusche.
War es nun vorbei? Seltsam…
Er blieb neben dem Toten stehen. Er roch streng. Nach Angst und Wut. Das Blut, das aus Wunden in seinem Rückenbereich austrat, stockte bereits.
War ausreichend Leben in ihm, um seinen Hunger zu stillen?
Mit einem spitzen Stein hieb er auf die Schädeldecke ein. Die Nahrung darin schien kaum noch durchblutet. Er kostete davon.
Tote Substanz, lediglich von einem Hauch jenes sättigenden Aromas durchzogen, nach dem er sich so sehnte. Das ihm zu Denken half und ihn immer wieder aus seiner Lethargie riss.
Er schlang das Gewebe mit wenigen Bissen hinab.
Ja. Er spürte ein wenig Erleichterung. Sein Horizont erweiterte sich, die Sinneseindrücke wurden schärfer und einprägsamer.
Schließlich folgte er den beiden anderen Nahrungswesen. Der Auftrag lautete, eines hinab in die Heimat zu bringen.
***
Sie stützten sich gegenseitig, während sie nach jenem Weg suchten, der hinauf in die Freiheit führen sollte. Kinga fühlte seinen rechten Arm nicht mehr. Er baumelte wie totes Fleisch von der Schulter herab.
Lourdes indes redete wie ein Wasserfall. Sie beschwerte sich über alles und jeden, zog auch über ihn her und beklagte ihre bedauernswerte Situation.
Sie stand unter Schock. Verarbeitete Angst und Unsicherheit auf die einzige ihr mögliche Art. Kinga ließ sie gewähren. Er konnte nur hoffen, dass sie den Ausgang aus dem Höhlenlabyrinth erreichten, bevor sich die Prinzessin ihrer tatsächlichen Situation und ihrer Erlebnisse vollends bewusst wurde.
Die große Höhle, in der Aksama nun begraben lag, befand sich hinter ihnen. Ein schmaler Weg wand sich tiefer ins Erdreich, erreichte seine Sohle und führte von nun an nur noch bergauf.
Die Beben hatten wundersamer Weise nachgelassen. Kinga sah es wie eine Fügung des Schicksals, die ihnen Hoffnung gab. Sie hatten so viel erlebt, so viel überlebt, dass es ihnen nunmehr gelingen musste, den richtigen Aufstieg zurück ans Tageslicht zu finden.
Die Herkunft der Gruh war ihm einerlei geworden. Neben seiner miserablen
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