VT04 - Zwischen Leben und Sterben
Mann los war. »Steig ins Auto und fahr weg, Leila!«, zischte er. »Mach schon!«
Er hob die Arme, um den Fausthieb des zierlichen Burschen abzuwehren – die Wucht des Treffers warf ihn einfach um. Im Fallen sah er Polizeifahrzeuge auf das Gelände vor der Halle fahren. Schon warf sich Lupo auf ihn.
Leila schrie hysterisch auf – zu sehr erinnerte sie die Szene an den Tod ihres Mannes. Sie ließ Hagen los, rannte zu Percival und dem kleinen Burschen, der auf ihm lag und ihn würgte, und trat mit ihren spitzen Pumps zu, wieder und wieder. Bis Lupo sie am Knöchel packte und umriss.
Wagentüren wurden aufgestoßen, uniformierte Polizisten rannten mit gezogenen Waffen herbei. Auf der Straße quietschten Bremsen, weil Steelwalker aus dem Kiosk auf die Fahrbahn gestürmt war. Auch er trug eine entsicherte Dienstwaffe. Beamte in Zivil stürmten in den Hof vor der Halle. Als Straßenarbeiter und Eisverkäufer getarnt hatten sie sich herangepirscht.
Lupo schlug nach der schreienden Leila. Percival und ein Uniformierter fielen ihm in die Arme und versuchten ihn festzuhalten, doch der Tiefschläfer schüttelte sie ab wie die Fliegen. Würgend schlossen sich seine Hände um den Hals der Frau.
Jetzt erst überwand Hagen seine Angst. Heiser bellend sprang er herbei, schnappte nach dem Arm des unheimlichen Würgers und zerrte ihn von seiner Herrin weg. Lupo ließ die Frau los und warf sich auf den Hund. Tier und Tiefschläfer rangen ein paar Sekunden miteinander – bis Lupo sich auf dem Rücken der Dogge festklammerte und ihren Kopf nach hinten hebelte. Hagen jaulte zum letzten Mal auf, dann brach sein Genick. Seine Beine knickten ein, er schlug auf dem Asphalt auf.
Einer der Polizisten schoss auf Lupo und traf ihn an der Hüfte. Lupo stürzte sich auf ihn, rammte ihm den Zeigefinger ins Auge und nahm ihm die Waffe ab. Zwei Zivilbeamte packten Lupo von hinten und rissen ihn zu Boden. Lupo feuerte das Magazin der eroberten Waffe auf sie ab. Als es nur noch Klick machte, schleuderte er sie auf Leila und traf sie an der Schläfe.
Ihr Geschrei verstummte, blutend ging sie zu Boden. Percival beugte sich über sie. Lupo warf sich auf den Journalisten, stieß ihn um und drückte ihm den Hals zu.
Steelwalker näherte sich von der Seite, zielte auf Lupos Schläfe und drückte ab. Die Kugel drang auf der anderen Schädelseite des Tiefschläfers wieder aus und fuhr in den Grill des Bentleys. Lupo sackte über Percival zusammen.
Ein oder zwei Sekunden lang schien die Zeit stehen zu bleiben. Keiner sagte etwas, keiner bewegte sich.
Als Steelwalker sah, dass auch der monströse Tiefschläfer sich nicht mehr rührte, zerrte er den schlaffen Körper von Percival herunter. »Bist du in Ordnung, Tom?«
Percival nickte. »Was ist mit Leila?«, röchelte er. Er richtete sich auf und sah nach ihr. Sie hielt sich die Platzwunde an der Schläfe und schluchzte haltlos.
»Hinein!« Steelwalker winkte den Polizisten und deutete auf die Halle. »Nehmen Sie van der Groot und seine Helfer fest!«
Die Beamten stürmten in die Halle. Sie durchkämmten sie stundenlang und – fanden niemanden.
***
Daressalam, 26. August, 2011
Sein Büro war ungefähr zweihundert Quadratmeter groß. Charles Poronyoma saß in seinem Schreibtischsessel an einem von Topfpalmen flankierten Schreibtisch. Wie der ledergepolsterte Sessel, so stammte auch der Tisch aus dem späten neunzehnten Jahrhundert und war aus deutscher Eiche gefertigt.
Aus den Lautsprechern seines Laptops drang die Stimme einer deutschen Nachrichtensprecherin. Charles Poronyoma verfolgte die Internetnachrichten des Deutschlandfunks.
Er hörte ein paar Dinge, die er schon wusste. Zum Beispiel, dass das Flugzeug, in dem sein Vorgänger zum Staatsbesuch nach Südafrika fliegen wollte, von Rebellen mit einer Flugabwehrrakete vom Himmel in den Dschungel geholt worden war; oder dass der neue Staatspräsident von Tansania Charles Poronyoma hieß; oder dass Präsident Poronyoma von deutschen Missionaren erzogen worden war; oder dass der neue Präsident die gesamte Opposition wegen Steuerhinterziehung hatte verhaften lassen.
Allerdings erfuhr er auch ein paar Dinge, die er noch nicht wusste. Zum Beispiel, dass die EU sämtliche Fördergelder für Tansania einfrieren ließ; oder dass der Franzose Maurice Poulain im November 2011 wieder an der Rallye Dakar teilnehmen wollte, und zwar als Favorit, denn die beiden letzten Rennen hatte er gewonnen; oder dass ein hohes Gericht in Deutschland entschieden
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