VT05 - Tag der Vernichtung
aufbrandenden Panik.
Sollten sie tatsächlich schon Spürhunde auf das Ichtylintrihydroäthylamid abgerichtet haben? Eine andere Erklärung wollte ihm nicht einfallen.
Die Beamte fuhren ihn unfreundlich an und umringten ihn drohend. Zwei nahmen ihm die Trolleys und die Taschen ab und stellten sie auf den Boden. Die Hundeführer befahlen ihren Schäferhunden, zuerst den großen Trolley zu beschnüffeln.
»So etwas ist mir noch nie passiert!«, schimpfte van der Groot. »Ich werde mich bei meiner Botschaft beschweren.« Er blickte in schwarze, feindselige Gesichter.
Der Professor drehte sich um und hielt nach Maren Ausschau. Sie zog eben ihren Trolley aus der Gepäckhalle, blickte kurz zu ihm, wandte sich, als sie die Situation erfasste, nach links und verschwand in der Menge der Wartenden.
»Maren!« Van der Groot hob den Arm und machte Anstalten, ihr hinterher zu laufen, doch einer der Uniformierten hielt ihn fest.
Die Hunde schlugen gleichzeitig an. Van der Groot fuhr herum. Atemlos sah er, wie die Spürhunde ihre Schnauzen in Marens Tasche stießen. Ihre Führer zogen sie zurück, einer der uniformierten Drogenfahnder leerte die Tasche an Ort und Stelle aus und warf sie dann einem seiner Kollegen zu, der sofort das Futter aufschlitzte.
Der andere kniete vor Marens Frauen-Equipment und untersuchte jeden Lippenstift, jedes Schminkkästchen, jede Cremedose und jedes Parfümfläschchen peinlich genau. Als er eine ungewöhnlich große Schachtel Tampons ausleerte, fielen nur vier Tampons auf die Fliesen, die obersten eben. Ihnen folgten ein paar sorgfältig verpackte Scheiben gepressten grünen Haschischs.
Sie nahmen van der Groot sein Gepäck ab. Drei Stunden lang verhörten sie ihn. Er verwies auf Maren, beschrieb sie in allen Einzelheiten – sogar den Leberfleck über ihrem Steißbein beschrieb er –, aber sie glaubten ihm kein Wort.
Am Abend fand er sich in einer Kerkerzelle mit sieben afrikanischen Mitgefangenen wieder.
***
Amsterdam, 29. August 2011
Knut Lindson und Pim de Gruiter zogen sich die Latexhandschuhe an. Anne Wilkins, eine junge Ärztin im Praktikum, knotete ihnen die Gümmischürzen im Rücken zu.
Danach streifte sie sich selbst die Handschuhe über. Lindson band ihr den Knoten im Rücken. Dabei berührte er sie zärtlich an der Schulter.
De Gruiter und der Pfleger Ruuid gingen zu den Kühlkammern. Anne Wilkins nutzte den unbeobachteten Augenblick, lehnte sich gegen Lindson und drückte ihr Gesäß gegen seine Schenkel. De Gruiter drehte sich um – es war, als hätte er Augen im Hinterkopf. Er taxierte Anne von oben bis unten und feixte schmierig.
Ruuid und Lindson trugen keinen Mundschutz. Beide machten den Job schon ziemlich lang und hatten sich an den Gestank gewöhnt; und nebenbei die Erfahrung gemacht, dass er früher oder später sowieso durch den Mundschutz hindurch drang.
Ruuid entriegelte die Luke und öffnete sie. Auf drei Ebenen sah man je ein Paar nackter Fußsohlen unter dem Rand einer Zellstoffdecke. An jeder Fußsohle klebte ein Etikett mit den Personalien der Leiche.
Der Pfleger zog die mittlere Rolltrage heraus, streifte die Decke von dem Toten und knüllte sie zusammen. Während er sie in den Müllbeutel warf, neigte de Gruiter den Kopf auf die Schulter, um das schräg auf der violetten Haut klebende Etikett besser lesen zu können. Aus der Hosentasche unter der Gummischürze zog er ein Diktaphon und sprach hinein.
»Schmitt, Patrick; geboren am 11.9.1985, gestorben am 28.8.2011, Obduktion am 29.8.« Sie rollten die Trage zum Seziertisch und legten die Leiche auf die chromblitzende Fläche. De Gruiter blickte auf die digitale Gewichtsanzeige, Ruuid schob den Nullpunkt der integrierten Messleiste bis zum Scheitel des Toten.
»Gewicht achtundvierzig Kilogramm, Größe hunderteinundsechzig Zentimeter«, sagte de Gruiter ins Diktaphon. Und dann, an die Adresse Lindsons und Wilkins’:
»Fangen wir an.« Er steckte das Gerät in die Brusttasche seiner Gummischürze. Es schaltete sich automatisch ein, wenn laut genug gesprochen wurde.
Knut Lindson und Anne Wilkins sortierten die Instrumente.
De Gruiter griff zu der Kladde mit der Anamnese, den Verlaufsprotokollen und dem abschließenden ärztlichen Bericht und blätterte die Dokumente durch.
Ein verantwortungsloser Arzt und Biochemiker hatte den armen Burschen als Versuchskaninchen für die Tiefschlafdroge ITH – Ichtylintrihydroäthylamid – missbraucht, und zwar mit einem Derivat des eigentlichen Wirkstoffes.
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