VT05 - Tag der Vernichtung
den Instrumenten aus, packte das Skalpell und stach nach Lindson, wieder und wieder. Der schrie und musste seinen Griff um den Oberkörper des monströsen Burschen lockern, um das scharfe Skalpell abwehren zu können.
Schmitt wand sich endgültig aus den Armen des Pathologen und rammte ihm das Skalpell tief in die linke Augenhöhle.
Lindson taumelte rückwärts vom Obduktionstisch weg, stolperte über die angehende Ärztin und stürzte.
»Knut«, stöhnte Anne Wilkins. »O Gott, Knut…« Sie kroch zu ihm, wollte dem Arzt das Skalpell aus dem Auge ziehen. Im Rhythmus seines Pulsschlages zuckte es hin und her. Die Frau zog unschlüssig die zitternde Hand zurück.
Den Rücken an die Türen der Kühlkammern gedrückt, schob Ruuid sich inzwischen dem Ausgang und dem Telefon entgegen. Schmitt tastete sich um den Seziertisch herum, stieß sich ab und torkelte dem Pfleger entgegen. Seine Bewegungen waren eckig, sein Rumpf bog sich und seine Glieder zuckten, als würde bei jedem Schritt ein elektrischer Stromstoß durch seinen toten Körper fahren.
Statt zum Telefon zu rennen, stand Ruuid zitternd vor einer der Kühlkammerluken. Der Anblick des nackten, grau-violetten Monsters mit der aufgeschnittenen Stirn und dem klaffenden Brustbein war mehr, als seine Nerven verkraften konnten.
Er verlor die Kontrolle über seine Schließmuskeln und über seinen Unterkiefer. Er wollte zum Telefon neben dem Ausgang laufen, er wollte es wirklich, doch seine Beine versagten, und als er spürte, wie es ihm warm die Schenkel hinunter lief, wich auch die letzte Widerstandskraft aus seinen Knochen – er sackte zusammen und heulte wie ein kleines Kind.
Schmitt beugte sich über ihn, zerrte ihn am Haar hoch und schlug seinen Kopf solange gegen die stählerne Kühlkammerluke, bis er tot war.
»Hilfe!«, schrie hinter dem Untoten eine Frauenstimme.
Schmitt drehte sich um. Auf der anderen Seite des Seziertisches kroch Anne Wilkins auf den Knien zum Ausgang. Sie presste ein Handy ans Ohr und schrie: »Notfall in der Pathologie! Ein Scheintoter…!« Ihre Stimme versagte, als sie die lebende Leiche auf sich zu wanken sah.
Am Seziertisch angekommen, bückte Schmitt sich nach dem reglosen de Gruiter und wälzte seinen Körper von der elektrischen Knochenkreissäge.
Der Pathologe stöhnte und schlug die Augen auf. Ungläubig starrte er in das von Sekreten nasse und von Klumpen geronnenen Blutes verschmierte Gesicht des Toten. Der ließ sich mit Knien auf de Gruiters Brustkorb fallen, schaltete die Säge ein und setzte sie an.
Die angehende Ärztin auf der anderen Seite des Obduktionstisches schrie hysterisch. Der Tisch verdeckte die Sicht auf die lebende Leiche und den Chefpathologen, doch sie hörte das grässliche Geräusch zerreißenden Fleisches.
Sie blickte sich nach Lindson um. Lang hingestreckt lag er auf den Fliesen und rührte sich nicht. Das Skalpell in seiner Augenhöhle hatte aufgehört zu pulsieren.
Die Panik trieb Anne Wilkins an – sie stemmte sich hoch, rannte zur Tür, stolperte, kroch auf allen Vieren weiter. Als sie das Blatt der Schiebetür ertastete, fasste sie den Griffbügel und zog sich hoch. Es gelang ihr, die schwere Tür um eine Handbreite aufzuziehen, doch dann rutschten ihre schweißnassen Finger ab, sie verlor das Gleichgewicht und stürzte gegen den Türrahmen.
Das hässliche Geräusch der Knochenkreissäge veränderte sich plötzlich. Anne Wilkins blickte zurück zum Obduktionstisch. »Nein«, stöhnte sie. »Bitte nicht…« Die von Blut triefende Säge in der Rechten, torkelte Schmitt ihr entgegen. Sie packte den Griffbügel der Tür und riss mit aller Kraft daran.
Die Tür gab so ruckartig nach, dass Anne Wilkins ausrutschte und erneut stürzte. Doch sofort war sie wieder auf den Beinen. Sie huschte aus der Tür, doch da war Schmitt schon bei ihr. Er packte den Knoten ihrer Gummischürze und riss sie zurück.
Sie schrie wie von Sinnen, krallte sich mit der Linken am Türrahmen fest und packte mit der Rechten den Griffbügel der Tür. Schmitt riss einfach die Schiebetür zu und klemmte ihren Oberkörper knapp unterhalb ihrer Achseln ein.
»Nein!«, schrie Anne Wilkins, und immer wieder: »Nein! Nein!«, doch Schmitt gab sie nicht mehr frei. Die Schulter gegen den Griffbügel der Tür gestemmt hielt er ihren Brustkorb zwischen Rahmen und Türflügel wie in einer Schraubzwinge fest. Mit beiden Fäusten umklammerte er die Knochenkreissäge und senkte das rotierende Blatt auf ihre weiße Kehle
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