Vyleta, Dan
zusah, wie der Junge auf den Ring biss.
Schlo'
nickte.
»Ich hab's
nicht hier«, sagte er zu Pavel. »Kommen Sie, folgen Sie mir.«
Anders war
nicht dabei gewesen, aber er stellte sich vor, dass Pavel die Tätowierung auf
dem Unterarm des Jungen sah, als sie den Bahnhof verließen. Pavel hatte ein
schnelles Auge für solche Dinge, wenn er für vieles andere auch so gut wie
blind war. Schlo' drehte umständlich Kreise mit ihm, tief hinein nach
Charlottenburg, und nickte den an den Straßenecken stehenden Jungs zu, die
rauchten und redeten und so taten, als spielten sie.
»Gleich da
drüben«, sagte er, und schon hatten sie ihn in einer Sackgasse, die auf einen
Trümmerwall führte, zwölf mit Knüppeln und Steinen bewaffnete Jungen, dazu
Paulchen, ihr Anführer, mit der Luger seines Vaters in der Hand. Anders
stellte sich direkt hinter Pavel, schätzte dessen Gewicht ab, die Qualität der
Schuhe, und stufte ihn als deutschen Beamten ein, dem das Glück davongelaufen
war.
»Er hat
ein Porzellanservice und einen Ehering«, erklärte Schlo' mit triumphierender
Stimme, »und vielleicht auch was Bares.«
Anders
durchsuchte ihm die Taschen und fand ein paar Dollar, dazu Pavels Papiere. Er
gab sie Paulchen, der einen Blick darauf warf und zu fluchen begann.
»Du
verdammter Idiot«, bellte er Schlo' an. »Das ist ein Ami.«
»Er
spricht Deutsch!«
»Ja und,
du Schwachkopf?« Er streckte Pavel die Papiere vors Gesicht. »Sind die echt?«
»Die sind
echt«, sagte Pavel ruhig.
Das ließ
Anders aufblicken, diese Ruhe in der Stimme, und dass der Mann ohne jeden
Akzent sprach. Er studierte ihn erneut, die Neigung seiner Schultern, das
dichte dunkle Haar. Nichts an ihm deutete auf diese Ruhe hin.
»Sind Sie
beim Militär?«, wollte Paulchen wissen.
»Früher.
Jetzt nicht mehr.«
»Sie sind
Zivilist?«
»Ja.«
Der Mann
holte eine Zigarette hinter dem Ohr hervor und zündete sie sich mit einem
Streichholz aus der Hemdtasche an. Die Bewegung stank geradezu nach Militär. Es
war die Art, wie er die Zigarette hielt und wie er den Rauch einatmete. Anders
hatte den Eindruck, als verstünde der Fremde die Situation nicht, oder als
verstünde er sie, weigerte sich aber mitzuspielen. Die Zigarette brannte, und
der Mann wandte seine Aufmerksamkeit erneut dem breitbeinig mit der Pistole in
der Faust dastehenden Paulchen zu, auf dessen Oberlippe der weiche Umriss
eines Schnurrbarts zuckte.
Anders
sah, dass Paulchen nicht wusste, was er tun sollte. Ausländer waren tabu, sie
auszunehmen konnte gefährlich sein. Andererseits sah der hier nicht gerade aus,
als ob er gute Beziehungen hätte. Wenn doch, würde er auf dem Schwarzmarkt
kein Penizillin kaufen wollen. Paulchen scharrte mit den Füßen und überlegte.
Die anderen warteten. Sie hatten Respekt vor ihm. Es ging das Gerücht um, dass
er '45 einen Mann umgebracht hatte, mit einer Brechstange und den Absätzen
seiner Stiefel.
Pavel half
ihm, zu einem Entschluss zu kommen.
»Das
Teeservice könnt ihr behalten«, erklärte er. »Ich bekomme den Ehering, das
Geld und die Papiere. Auf diese Weise haben wir beide was davon.«
Das waren
absurde Bedingungen. Schließlich hatten sie ihn in ihrer Gewalt, zwölf mit
Knüppeln und Steinen bewaffnete Jungen, von der Luger gar nicht zu reden. Der
Mann hatte nichts in der Hand außer seinem Amerikanersein, und Anders dachte,
wenn sie seine Papiere verbrennen würden, hätte er nicht mal mehr das. In
Berlin brauchte man Papiere, um jemand zu sein, Papiere und Freunde. Der Mann
sah nicht aus, als hätte er viele Freunde. Aber Paulchen nahm sein Angebot an.
Ohne mit der Wimper zu zucken. Ohne ein Wort, ohne eine Drohung gab er ihm die
Papiere zurück und den Ring.
»Verschwinden
Sie«, sagte er zu Pavel, und Pavel ging davon, rauchend und mit einem leichten
Hinken, weil ihm die Nieren schmerzten. Anders folgte ihm. Ohne Grund, einfach
so. Es hatte mit der Art zu tun, wie Pavel sich die Zigarette angesteckt, wie
er sich freigekauft hatte. Oder vielleicht auch, weil er Deutsch sprach, als
wäre er hier geboren, höchstens ein bisschen weicher, vorsichtiger, als hielte
er die Sprache für zerbrechlich und hätte Angst, dass sie ihm im Mund
zersprang.
Es war ein
Kinderspiel, ihm zu folgen. Pavel sah sich nicht ein einziges Mal um. Auf der
Treppe seines Hauses gab Anders ihm gerade so viel Vorsprung, dass er sehen
konnte, in welcher Wohnung der Mann verschwand. Als er näher schlich, um sein
Ohr gegen das Holz zu drücken, war da nichts als
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