Wachstumsschmerz
Spaß machen.
Und Herr Forstmann wirkt mir durchaus wie jemand, der zwar vernünftig ist, aber auch weiß, wann Schluss ist. Nämlich innerhalb der nächsten zehn Jahre. Weshalb also bis dahin nicht die großen Fettaugen und Butter in rauen Mengen?
»Warum wehren Sie sich nicht?«
»Gegen Frau Forstmann? Sie will das Leben und letztendlich auch den Tod unter Kontrolle haben.«
»Aber das kann sie doch gar nicht, oder doch?«
»Nein, mein Kind. Das kann wohl niemand außer dem Lieben Gott. Und so richtig Herr der Lage scheint der mir auch nicht immer zu sein.« Herr Forstmann lacht sein lustiges Rotzlachen, schielt aber dennoch ein wenig verschämt Richtung Decke. »Und glauben Sie mal eins, mein liebes Frollein Albrecht, ich kriege meine Kalorien schon irgendwie zusammen. Auf jedem Spaziergang, auf den sie mich schickt, läuft mir irgendwo eine Currywurst über den Weg!«
Nachdem ich Herrn Forstmann aus dem gefährlichen Anzug-Nadel-Gebilde geschält habe, verschwindet er hinter dem provisorischen Vorhang und zieht sich an.
»Wie lange sind Sie denn schon mit Frau Forstmann verheiratet? Oder zu intim, die Frage?«
»Na hören Sie mal, Sie haben mich bereits mehrfach in Unterwäsche gesehen, es wäre nur noch intimer, wenn Sie mir die Zehennägel schneiden würden!«
Ich muss lächeln und verliere dabei ein paar Stecknadeln aus dem Mund.
»Na dann, Kumpel. Wie lange schon?«
»Fünfzig Jahre letztes Jahr!«, sagt er mit so viel Würde, wie man haben kann, wenn man keine Hose anhat.
»Wow. Was ist das dann? Diamantene Hochzeit? Google-Aktien-Mehrheit-Hochzeit?«
»Goldene. Diamantene Hochzeit wäre in zehn Jahren. Erst einmal sehen, ob wir es bis dahin noch miteinander aushalten. Eine so lange Ehe ist kräfteraubend, das sage ich Ihnen aber. Man sollte den sechzigsten Hochzeitstag lieber blutdiamantene Hochzeit nennen, wenn Sie mich fragen.«
Wieder kichert Herr Forstmann, und wieder blickt er entschuldigend zur Decke. Dann holt er tief und ein bisschen rasselnd Luft und zieht seine Hose an. »Vermutlich sollte ich noch schnell die Gelegenheit nutzen und mit Ihnen durchbrennen, bevor meine Ohren noch größer werden und Sie mich für ein Flugzeug halten.«
»Haben Sie nie in Erwägung gezogen, sich zu trennen?«, frage ich leise.
»Dauernd! In den ersten Jahren denkt man, das geht vorbei, später hat man sich gewöhnt und jetzt … Ach, Kindchen, so oft mir Frau Forstmann auch die wenigen Haare zu Berge stehen lässt, ohne sie wäre mein Leben nicht dasselbe gewesen!«
»Aber vielleicht ein anderes, erfüllteres!«
»Nanana, jetzt glauben Sie mal nicht, dass unser Leben nicht erfüllt ist! Ihr jungen Leute denkt immer, dass das Leben wie im Märchen ablaufen muss. Diese ganzen Filme verkleben euch das Gehirn und das Herz! Da könnense aber sicher sein, dass sich dieser reiche grauhaarige Gentleman und die Bordsteinschwalbe nach dem Ende von diesem Film nicht für immer in den Armen liegen. Irgendwann ist sie von seinem Schnarchen und der offenen Klobrille abgestoßen. Und er hasst es, dass überall ihre roten Haare rumliegen. Wobei das wirklich schöne Haare sind, die das Mädchen da hat. Wie heißt sie noch mal?«
»Julia Roberts. Er ist Richard Gere.«
»Genau. Diese Filme enden immer in dem Moment, wenn die ganze Arbeit erst losgeht.«
»Na ja, es gibt auch Filme, die von den Problemen in Beziehungen handeln«, werfe ich schüchtern, aber eigentlich komplett seiner Meinung ein.
»Das wird stimmen, Kindchen. Aber wie enden die? Dass sich beide in die Arme fallen und der Film wieder da aufhört, wo die ganze Arbeit immer noch vor ihnen liegt. Egal ob man hölzerne Hochzeit oder diamantene feiert: Es wird immer Arbeit vor einem liegen! Basta!«
»Basta it is, Herr Forstmann! Ich muss Sie jetzt eh rausschmeißen, mein Freund und ich sehen uns eine Wohnung an. Wir werden also ein andermal durchbrennen müssen. Sollten Ihre Ohren bis dahin dramatisch gewachsen sein, sparen wir uns zumindest das Flugticket!«
» S ie ist großartig.«
»Jepp.«
»Tut mir wirklich leid.«
»Kein Problem. Ist echt super!«
»Beißt du dir in den Arsch, weil sie ausgerechnet am Schwarzen Brett in deiner Kletterhalle hing?«
Flo wischt mit seiner Hand imaginären Staub vom Fensterbrett.
»Sei ehrlich!«
»Ein bisschen vielleicht.«
»O.k., jetzt mal im Ernst. Ich finde die Wohnung wirklich gut. Etwas Besseres werden wir, ohne unsere Ansprüche dramatisch runterzuschrauben, nicht finden. Ich würde hier gerne
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