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Wachstumsschmerz

Wachstumsschmerz

Titel: Wachstumsschmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Kuttner
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Position gewendet, worauf sie nur kurz wach geworden ist und inbrünstig »Marmelade!« gesagt hat, und kurze Zeit später das gleiche Spiel noch mal. Insgesamt nur etwa achtzig Zentimeter breit Mensch in diesem Schiff von einem Bett und trotzdem kein Platz!
     
    Dennoch: dass Pauli auf deiner Seite lag, ist falsch. Dies ist dein Teil des Nestes, reserviert für deine achtzig Zentimeter oder so. Pauli gehört in die Ritze zwischen uns. Dieser viele Platz tut auch ihr nicht gut. Zu viele Ablagemöglichkeiten für ihre kleinen Glieder. Einschränkungen mögen ein Korsett sein, aber ein gut sitzendes.
    Pauli, die heute früh vollkommen aufs Neue zerstört war, dass du nicht da bist, habe ich gesagt, dass du bald wiederkommst. Du kommst doch bald wieder?

M ein Vater ist ein großer, hagerer Mann. Obwohl er erst Mitte fünfzig ist, ist sein Haar komplett ergelbt. Uns blonde Menschen vereint ja das würdelose Schicksal, im Alter nie wunderschöne weiße Haare zu haben. Schlohweißes Haar ist angeblich nur Menschen mit ursprünglich tiefschwarzem Haupt vergönnt, alle anderen bekommen eine unbefriedigende Straßenköter-Mischung. Wenn ich meinem Vater auf den Kopf schaue, sieht meine Zukunft also irgendwie zahnfarben aus.
    Papa steht am Herd und kocht seine berühmte Bolognese, es ist das Einzige, was er kochen kann, und heute muss er, denn er ist mit Pauli allein.
    »Wo ist Karen?«
    »Irgendwas mit anderen Frauen machen.«
    »Du sagst das voller Liebe und Respekt.«
    »Ach komm, du weißt schon: einkaufen oder Kosmetik oder so.«
    Mein Vater ist ein mürrischer Mann. Er selbst würde das nie zugeben, aber er scheint permanent enttäuscht. Nicht so sehr vom Leben an sich, eher von seiner Umwelt. Den Menschen, dem Fernsehen, dem allgemein herrschenden Intellekt. Ihm wäre es sicher lieber, Karen würde ins Theater statt zur Gesichtspflege gehen.
    »Mama macht auch Sport!« Pauli ist in die Küche gekommen und hängt sich sofort an meinen Hals, als wäre ich der allerbeste Mensch der Welt. So ist das mit meiner kleinen Schwester: Sie vergibt ihre Liebe immer an denjenigen im Raum, der am wenigsten mit ihr verwandt ist. Als wolle sie enge Angehörige permanent bestrafen. So viel Kalkül traue ich ihr zwar nicht zu, ein bisschen Sorgen macht es mir aber schon.
    »Und weil die Mama immer so viel Sport macht, sieht sie auch viel schöner aus als der Papa, stimmt’s?«, flüstere ich ihr ins Ohr.
    »Mama ist so schön!«, sagt Pauli mit zauberhafter Ehrfurcht und ausladender Geste, womit sie leider die von mir geschnittenen Zwiebeln vom Tisch fegt.
    »Pauli, hau mal ab jetzt. Geh noch ’ne Runde spielen, und ich ruf dich, wenn die Nudeln fertig sind, ja?«
    »Immer muss ich spielen gehen. Kann Luise mitkommen?«
    »Nee, Luise und ich reden grad miteinander. Ihr könnt nach dem Essen noch was lesen, o.k.?«
    Pauli meckert sich irgendwas in den Bart und schlurft schmollend in ihr Kinderzimmer.
    Papa steht am Herd und rührt schweigend in der Soße, im Mundwinkel einen Zahnstocher. Wie ein alternder Cowboy, der kurz mal in der Saloon-Küche aushelfen muss.
    Ich pule an den Blumen, die auf dem Tisch stehen, rum und schweige zurück.
    »Ihr redet ja überhaupt nicht!«, brüllt Pauli aus dem Kinderzimmer.
    »Flo und ich haben endlich eine Wohnung gefunden.«
    »Ah.«
    »Ja. In einem Monat können wir rein, vielleicht sogar früher.«
    »Das ist doch gut.«
    »Drei fast gleich große Zimmer, 80  qm, und alte Dielen.«
    »Schön.«
    »Die sind zwar ziemlich runtergerockt, aber ich mag das lieber als neu verlegtes Parkett.«
    »Hm.«
    Eine harte Nuss dieser griesgrämige Mann. Es ist nicht das erste Mal, dass ich mich frage, weshalb ich überhaupt vorbeikomme, wenn unsere Gespräche immer so ein verdammtes Seilziehen sind. Es fällt mir schwer zu glauben, dass dieses Desinteresse sich nicht direkt auf meine Person bezieht, sondern eher fehlende Begeisterung für vermeintlich Nebensächliches ist. Zumindest erklärt mir das Jana immer, wenn ich kurz davor bin, meinem Vater die Verwandtschaft zu kündigen.
    Ich bin doch seine Tochter! Fleisch und Blut! Fleisch und Blut! Sollte mein Interesse nicht auch sein Interesse sein? Kann man sich nicht wenigstens auf ein gewisses Maß an Höflichkeit einigen? Allerdings ist das etwas, das mein Vater nicht einsieht: so zu tun als ob. Ein eigentlich schöner und ehrenwerter Charakterzug. Muss ich also einfach das mir angebotene kürzere Stäbchen nehmen?
    Frustrierend, wie uns die eigenen Eltern

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