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Wachstumsschmerz

Wachstumsschmerz

Titel: Wachstumsschmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Kuttner
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hängt, er geht nicht zur Maniküre, weint selten im Kino und ist stolz auf seine Narben. Aber er kann es sich nicht verkneifen, beim »Dschungelcamp« den Gewinner seines Herzens durch Telefonanrufe zu unterstützen, und man kann ihm eine echte Freude machen, wenn man ihm Klatschzeitschriften mitbringt. Beiden Leidenschaften frönt er vollkommen ironiefrei, was mich nur noch verliebter macht.
    »Haben sich die Drecksfilmtypen schon gemeldet?«, fragt Flo, ohne den Blick vom Fernseher zu wenden.
    »Jepp. Blau!«
    »Und?«
    Ich kaue unnötig lange auf Blau herum.
    Flo dreht sich zu mir: »Und?«
    »Noch mal grün!«
    »Luise …«
    »Ach, denen war meine ›Interpretation zu modern‹. Angeblich auf eine interessante, neoromantische Art und Weise, aber sie möchten sich doch lieber an die klassischere Variante halten. Rot!«
    »Tut mir leid. Aber klingt doch trotzdem so, als hätten sie dich generell gut gefunden!«
    »Ach komm, das glaubst du denen doch nicht etwa? Wie sehr kann man jemandem glauben, der so ein Buch drehen will? Außerdem fand ich mich ja selbst furchtbar. Grün!«
    »Aber du sahst zumindest irre aus! Die Caster von ›Tootsie‹ hätten dich geliebt.«
    Ich lutsche auf dem grünen M&M und meinen Gedanken rum. Die Rolle war mir tatsächlich egal. Und zu wissen, dass ich eher keine gute Schauspielerin bin, ärgert mich auch nicht so sehr. Zumindest ist mein Ego relativ entspannt. Was einen unangenehmen Geschmack im Mund hinterlässt, ist, dass ich schon wieder nicht hungrig bin. Nicht ausreichend brenne. Und das liegt nicht daran, dass ich nicht gut bin. Diese Verbindung besteht seltsamerweise nicht. In meinem richtigen Schneiderberuf bin ich, zumindest handwerklich, richtig gut.
    Ich kenne alle gängigen und speziellen Reversnamen und -formen. Ich kann die Maße meiner Kunden inzwischen auf drei Zentimeter genau schätzen, noch ein paar Jahre und ich kann mit dem bloßen Auge Maß nehmen. Ich mag die meist alten Männer, die in unser Atelier kommen, um sich etwas »Vernünftiges« schneidern zu lassen. Kunden, die zu mir kommen, interessieren sich nicht für Mode von der Stange. Und sie haben auch kaum eine andere Wahl. Anzüge von der Stange sind für charmant schiefe, mit den Jahren ein wenig verwachsene Männerkörper nichts. Also messe und berate ich sie, höre mir Geschichten von undankbaren Kindern und verzogenen Enkeln an und breite Stoffmuster auf dem großen Arbeitstisch aus, obwohl ich schon längst weiß, welcher Stoff ihnen am besten steht und welcher ihnen am besten gefällt (nicht notgedrungen immer ein und derselbe). Ich berate bei Bedarf und führe ansonsten aus. Ein guter Job. Ich bin selbständig, teile ein Atelier mit zwei anderen, auf Damenmode und Theaterkostüme spezialisierten Schneiderinnen und kann arbeiten, wann und wo ich will.
    Trotz allem bekomme ich in den letzten Monaten häufiger das Gefühl, zu früh angekommen zu sein. Der Gedanke daran, für den Rest meines Lebens nicht ganz symmetrische Herren auszumessen und ihnen die letzten Anzüge zu schneidern, schnürt mir immer häufiger ein wenig die Luft ab. Gleichzeitig lähmt mich der Gedanke, mich mit diesem Gefühl näher auseinanderzusetzen.
    Manchmal sehe ich über meine Nähmaschine hinweg meinen Mitschneiderinnen beim Arbeiten zu. Sie sind viel ekstatischer als ich. Sie wuseln rum und telefonieren viel und stellen sogar eigene Kollektionen auf die Beine. Sie wollen weiterhöherlauter, wollen ihre Kollektionen im Lafayette hängen sehen, auf der Fashion Week, an Jessica Schwarz, ach was, an Chloë Sevigny! Sie denken groß und werden es dabei auch.
    »Findest du, ich sollte mal eine eigene Kollektion machen? Gelb!«
    »Klar. Wie macht man das denn?«
    Ich überlege.
    »Keine Ahnung. Man denkt sich schöne Kleidung aus und näht sie dann?«
    »Welche Farbe?«
    »Die Kleider?«
    »Dein M&M.«
    »Blau, bitte. Ach, ich möchte so gerne eine eigene Kollektion wollen. Aber kaum etwas reizt mich wirklich daran, außer vielleicht dem fertigen Ergebnis und dass dann Chloë Sevigny meine Kleider tragen würde.«
    »Aber du musst doch keine Kollektion machen, wenn du nicht willst. Farbe?«
    »Noch mal blau. Aber ich will wollen! Alle wollen mehr, weil sie mehr haben können, wenn sie nur wollen. Ich will auch wollen und dann haben!«
    »Das klingt durcheinander. Und wenn man die ganzen ›haben‹ und ›wollen‹ auseinanderpuzzelt, klingt es eigentlich ganz süß genügsam.«
    »Hm. Gelb!«
    » UNO !«
    »Was bedeutet das

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