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Wachtmeister Studer

Wachtmeister Studer

Titel: Wachtmeister Studer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Man muß es ohnehin nur allzu oft tun, wenn man den Beruf eines Fahnders ausübt…
    Der Zugführer ging durch den Wagen. An der Tür, die zum nächsten Abteil führte, wandte sich der Mann um:
    »Gerzenstein«, sagte er laut.
    Das Mädchen behielt den Füllfederhalter in der Hand, ließ Felicitas Rose mit dem schönen Grafen in gewichsten Reitstiefeln in der Mappe verschwinden und stand auf.
    Ein Transformatorenhäuschen. Viele Einfamilienhäuser. Dann ein größeres Haus. Ein Schild darauf: ›Gerzensteiner Anzeiger. Druckerei Emil Aeschbacher‹. Daneben, im Garten, ein Käfig aus Drahtgeflecht. Kleine bunte Sittiche hockten verfroren auf Stangen. Die Bremsen schrieen. Studer stand auf, packte seinen Koffer am Griff und schritt zur Tür. Seine Gestalt im blauen Regenmantel füllte den Gang aus.
    Es tröpfelte noch immer. Der Stationsvorstand hatte einen dicken Mantel angezogen, seine rote Mütze war das einzig Farbige in all dem Grau. Studer trat auf ihn zu und fragte ihn, wo hier der Gasthof zum ›Bären‹ sei.
    »Die Bahnhofstraße hinauf, dann links, das erste große Haus mit einem Wirtsgarten daneben…« Der Stationsvorstand ließ Studer stehen.
    Wo war das Mädchen geblieben? Das Mädchen, das auf die letzte Seite eines broschierten Romans mit kleiner, etwas zittriger Schrift geschrieben hatte: »Deine Dich ewig liebende Sonja…« Sonja? Es hießen nicht viele Mädchen Sonja…
    Dort stand das Mädchen, vor dem Kiosk, dessen Fenster mit farbigen Einbänden tapeziert war. Es beugte sich zum kleinen Schiebfenster und Studer hörte es sagen:
    »Ich geh jetzt heim, Mutter. Wann kommst du?«
    Ein Gemurmel war die Antwort.
    Also doch die Sonja Witschi… Und die Mutter mußte man sich auch gleich ansehen. Die Mutter, die durch die Vermittlung des Herrn Gemeindepräsidenten Aeschbacher den Bahnhofkiosk erhalten hatte.
    Frau Witschi hatte die gleiche spitze Nase, das gleiche spitze Kinn wie ihre Tochter.
    Studer kaufte zwei Brissagos, dann schlenderte er über den Bahnhofplatz. Eine Bogenlampe. Um ihren Sockel ein Beet mit roten, steifen Tulpen. Aus einem der oberen Fenster des Bahnhofes schmetterte ein Lautsprecher den Deutschmeistermarsch. Etwa fünfzig Schritte vor dem Wachtmeister ging das Mädchen Sonja.
    Vor einem Coiffeurladen stand ein bleicher Jüngling, der einen weißen Mantel mit blauen Aufschlägen trug. Sonja trat auf den Jüngling zu, Studer blieb vor einem Laden stehen. Er schielte zu dem Paar hinüber, das sich flüsternd unterhielt, dann reichte das Mädchen dem Jüngling einen Gegenstand und trippelte davon. Aus der Tür des Coiffeurladens quoll eine knödlige Stimme: »Sie hören jetzt das Zeitzeichen des chronometrischen Observatoriums in Neuchâtel…« Und gedämpft, durch die geschlossene Türe drang aus dem Laden, vor dem Studer stand, der ›Sambre et Meuse‹-Marsch…
    »Das Dorf Gerzenstein liebt Musik…«, stellte der Wachtmeister bei sich fest und betrat den Coiffeurladen.
    Er stellte den Koffer ab, hing seinen blauen Regenmantel an den Ständer und nahm aufseufzend in einem Fauteuil Platz.
    »Rasieren«, sagte er.
    Als der Jüngling sich über Studer beugte, sah der Wachtmeister zwischen den blauen Aufschlägen des Friseurmantels, im oberen Westentäschchen, den dicken Füllfederhalter, den das Mädchen Sonja im Zuge aus der Mappe genommen hatte.
    Studer fragte aufs Geratewohl:
    »Gäbig, he? Wenn man eine Freundin hat, die einem einen teuren Füllfederhalter schenkt?«
    Einen Augenblick blieb der schaumige Pinsel über seiner Wange hängen. Studer betrachtete die Hand, die den Pinsel hielt. Sie zitterte. Also stimmte etwas nicht. Aber was? Studer sah im Spiegel das Gesicht des Jünglings. Es war käsig. Die allzu roten Lippen waren geschürzt und ließen die oberen Zähne sehen, die bräunlich und schadhaft waren. Hatte sich Sonja in diesen Ladenschwengel verliebt? Da war doch der Schlumpf ein anderer Bursch, trotz seiner Vergangenheit, trotz seiner Verzweiflung gestern… Gestern? War das erst gestern gewesen? – Da hing einer am Fensterkreuz, da schrie einer in der Zelle, in der noch die Kälte des Winters hockte – und draußen vor den Fenstern sang eine Kleinmädchenstimme:
    »Allewil, allewil blib i dir treu…«
    Sanft strich der Pinsel wieder über Studers Wangen.
    – Ob er ihn denn so erschreckt habe, fragte Studer den käsigen Jüngling. Der schüttelte den Kopf. Studer beruhigte ihn weiter. Da sei doch weiter nichts dabei, wenn man von einer Freundin ein Geschenk

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