Wackelkontakte - Kein Sex geht gar nicht
breiten Grinsen weckte, während sich mein Kopf doppelt so dick wie üblich anfühlte, meine Haare wie Eiszapfen an mir herunterhingen und ich schon den Anflug einer heftigen Grippe zu spüren glaubte. Keine Frage, mein neuer Nachbar hatte sich bereits disqualifiziert, bevor ich überhaupt seinen Namen kannte. Und ich hatte ihn gerade so weit, dass er bereit war, eine Teilschuld einzugestehen, als Özlem aus dem Bad auf mich zustolperte und mir leise zuflüsterte, dass ich soeben »den« Tim Norlinger zur Schnecke gemacht hatte. Das war wieder einmal so ein typischer Özlemismus. Für sie war damit alles gesagt. Und es dauerte eine ganze Weile, in der ich mir den Kopf darüber zerbrach, woher ich »den« Tim Norlinger unbedingt kennen musste, bis Özlem mich erlöste.
»Na, der Fußballspieler. Tim Norlinger ist doch Stürmer beim FC. Er sitzt aber leider nur auf der Reservebank.«
Na gut, ein Fußballspieler also. Und warum durfte ich ihn dann nicht zur Schnecke machen?
»Der ist früher mal als großes Talent gehandelt worden, war sogar kurz Nationalspieler«, erklärte Özlem in der Manier eines Fußballkommentators. »Aber nach einer Reihe von Knieverletzungen hat er leider nie wieder zu seiner alten Form zurückgefunden.«
Özlem wusste alles über den 1. FC Köln. Sie war geradezu verrückt nach dem Verein, dessen Höhen und Tiefen ihr regelmäßig zu schaffen machten. Und ich konnte sie nur mit Mühe davon abhalten, sich ein Autogramm von »dem« Tim Norlinger geben zu lassen.
Meiner Meinung nach zeigten Tina und Özlem viel zu viel Interesse an meinem neuen Nachbarn, dafür, dass wir gestern Abend noch in den allgemeinen Abgesang auf alle Männer dieser Welt eingestimmt hatten. Aber ich hatte ohnehin befürchtet, dass unser Schwur nicht von langer Dauer sein würde. Sogar mich hatte »der« Tim Norlinger schließlich mit seinem umfangreichen Wissen über LKWs im Allgemeinen und Laderampen im Speziellen wieder milde gestimmt. Denn als ich nach dem Umzug plötzlich wieder vor meinem ursprünglichen Problem stand, hatte er mir erklärt, dass man Laderampen nur in Bewegung setzen kann, wenn man den dazugehörigen Sicherungsknopf neben dem Lenkrad betätigt. Und genau dieses Sesam-öffne-Dich hatte ich bei meiner Turnerei im Führerhäuschen offenbar getroffen, als sich gestern Nacht wie von Geisterhand die Hebel bewegt hatten. Mit Tims Hilfe konnte ich den LKW wenigstens im ursprünglichen Zustand wieder an die Autovermietung zurückgeben und musste nur für den einen Tag Verspätung einen gesalzenen Aufschlag zahlen.
Ich ließ noch mehr heißes Wasser in die Wanne laufen, bis die knallgelben Kacheln im Bad beschlagen waren. Chris hatte wirklich einen gewöhnungsbedürftigen Geschmack, aber damit musste ich wohl oder übel leben. Schließlich war er meine letzte Rettung und seine Wohnung nur eine längerfristige Übergangslösung. Nach meinem Rausschmiss bei Frank war ich zuerst notdürftig bei Tina untergekommen, bis mir eingefallen war, dass Chris, ein erfolgreicher Kölner Nachwuchssportler, der in Deutschland American Football spielte, sein Glück jetzt doch mal in den Staaten versuchen wollte und eine Nachmieterin suchte. Ich hatte ihn vor einiger Zeit interviewt, und er erinnerte sich noch an mich. Für ihn kam ich gerade recht, denn er wollte die Wohnung vorerst gerne behalten, falls es mit der Football-Karriere in Amerika dann doch nicht klappen würde.
Das heiße Wasser taute meine gefrorenen Glieder langsam wieder auf, und ich begann mich zu entspannen. Nach einer Weile waren die Strapazen des Umzugs vergessen. Was machte schon eine Nacht draußen auf einer Laderampe im tiefsten Winter, wenn ich jederzeit ein heißes Bad nehmen konnte? Das konnte ich jetzt jeden Tag tun. Genau genommen konnte ich sogar mehrmals am Tag baden, ja ganze Tage in der Badewanne verbringen, denn diese Wohnung gehörte mir, mir, mir. Wenigstens solange Chris in den Staaten Karriere machte. Keiner konnte mich daran hindern, mein Leben ab jetzt im Badezimmer zu verbringen. Ich durfte hier tun und lassen, was ich wollte. Kein nerviger WG-Mitbewohner würde mich mehr darauf aufmerksam machen, dass ich schon drei Monate lang kein Klopapier mehr gekauft hatte. Ich konnte das benutzte Geschirr so lange sich selbst überlassen, bis es organisch war und mich morgens mit Namen begrüßte. Und ich brauchte beim Sex keine Angst mehr davor zu haben, dass meine Mutter, meine Mitbewohnerin oder Frank plötzlich in der Tür stehen
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