Wächter des Elfenhains (German Edition)
die Lebensstränge waren noch da. Sie waren dünner geworden und hatten an Glanz verloren, aber noch waren sie nicht zerstört, noch gab es Hoffnung.
Andion tauchte seine Hände in das ersterbende Licht und schloss die Augen. Nun, endlich, begriff er. Er wusste nun, was Ionosen gesehen hatte, erkannte den Weg, den er gehen musste. Es hatte niemals einen anderen gegeben.
Entschlossen, dem Namen, den Ionosen ihm verliehen hatte, Ehre zu erweisen, öffnete er seinen Geist. Er spürte die Trauer der Elfenseelen, spürte, wie ihre liebevolle Gegenwart ein letztes Mal wie eine tröstende Hand über ihn hinwegstrich, wie sie die Furcht und den Schmerz von ihm nahm und ihm die Zuneigung und Wärme schenkte, die er in seinem Leben niemals kennengelernt hatte. Dann gingen sie. Sie strömten aus ihm heraus wie Blumen aus Licht, die von einem unsichtbaren Wind erfasst und davongetragen wurden, flossen zurück zu dem Ort, an den sie gehörten.
Ein winziger Lichtpunkt flackerte durch die erlöschenden Reste dessen, was einst das Herz des Waldes gewesen war, ein kleiner, kaum wahrnehmbarer Funke im drohenden Dunkel. Und mit jeder Seele, die ihn verließ, wurde der Funke heller, begann der Puls der Quelle schneller zu schlagen, suchte einen neuen Rhythmus.
Doch je mehr das Licht wuchs, desto rascher strömte die Magie aus Andion heraus. Er spürte, wie seine Kräfte schwanden, spürte, wie seine Lebenskraft zusammen mit den Seelen und der Magie der Elfen aus seinem Körper gerissen wurde, aber das spielte keine Rolle mehr. Das Herz schlug wieder, nahm sich, was es brauchte, forderte zurück, was niemals einem Einzelnen hätte gehören dürfen.
Lächelnd blickte Andion in das Licht, das sich um ihn herum entfaltete. Eine nie gekannte Freude erfüllte ihn, als der matte Silberglanz der Lebensstränge wieder kräftiger und strahlender wurde, sie wie vertrocknete Adern, in die plötzlich wieder Blut hineinfloss, an Stärke gewannen – alle bis auf seinen eigenen. Er musste ihn nicht ansehen, um zu wissen, dass er immer dünner und dünner wurde, sein samtiger Schein verblasste wie Nebel in der Morgensonne. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er endgültig erloschen war.
Als es schließlich vollbracht war, sank Andion mit einem zitternden Atemzug zu Boden. Die letzte Elfenseele hatte seinen Körper verlassen; das Gleichgewicht war wieder hergestellt, das Gift, mit dem Ogaire die Quelle besudelt hatte, fortgespült, die Wunden geheilt worden. Der Kreis hatte sich geschlossen. Andion lächelte schwach, während er fühlte, wie der letzte Funke von Leben in ihm verglomm. Er war einen weiten Weg gegangen, doch am Ende hatte er seine Bestimmung erfüllt. Der Hain war gerettet. Die Elfen würden leben. Maifell würde leben.
Noch immer lächelnd, schloss er seine Augen und wartete auf die Dunkelheit, die ihn mit sich forttragen würde.
23. Kapitel
Der Tod hatte Einzug gehalten in den Hain der Elfen. Neanden spürte, wie er sich in ihn hineinfraß, sich mit Zähnen aus Feuer in sein Fleisch und seine Seele grub, während er sich schreiend vor Schmerz am Boden krümmte, während die Körper der Sylphen wie von den Flammen einer Kerze verbrannte Falter im grauen Staub der Lichtung zuckten und das Leben und das Licht aus der Welt flohen wie die Farben eines Bildes, die von einem plötzlichen Regenschauer von einem Blatt Papier gewaschen wurden. Flockige Asche drang in seinen Mund, ließ ihn hustend um Atem ringen, und doch konnte er nicht aufhören zu schreien.
Seine Finger krallten sich in die tote Erde, als er mühsam den Kopf hob und durch den Nebel aus Schmerz und Benommenheit auf die schemenhafte Gestalt starrte, die sich schwankend und unsicher wie ein Geist vor ihm durch die Düsternis bewegte. Andion, nein! Lass es nicht so enden! Tränen traten ihm in die Augen, ließen seinen Blick noch mehr verschwimmen. Er wusste, was Andion plante, spürte die tiefe Entschlossenheit, die ihn erfüllte und wie das Licht eines neu geborenen Sterns in der Dunkelheit und Kälte erstrahlte. Andion würde sich opfern. Er würde tun, wozu er glaubte, vom Schicksal und Ionosens Prophezeiungen bestimmt worden zu sein, und er würde alles geben, was er besaß, damit auf die Finsternis der Nacht ein neuer Morgen folgte.
Voller Bitterkeit und Verzweiflung schluchzte Neanden auf. Er begriff nicht, auf welche Weise es geschehen war, er wusste nur, dass Ogaire sie selbst in seinem Tod noch verspottete, dass er sie manipulierte und nach seinem Willen
Weitere Kostenlose Bücher