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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gavénis
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geschaffen hatte, trat Ogaire aus dem Licht auf die Lichtung hinaus. Gleichmütig betrachtete er die schwarze, verkohlte Fläche, die noch vor wenigen Augenblicken eine blühende Wiese gewesen war. Die Obszönität seiner Schändung war wie Eiter aus dem gequälten Herzen des Waldes hervorgebrochen, eine giftige, kochende Brühe, die jeden Grashalm und jede Blume, jeden Strauch und jeden Baum im Umkreis von mehreren hundert Metern zu rauchender Schlacke und bizarren, wie verkrümmte Skelettfinger aus der Erde ragenden Schattengebilden zusammengeschmolzen hatte, zu schwarzen, verkrüppelten Zerrbildern ihrer einstigen Schönheit, aus denen jegliches Leben für immer gewichen war.
    Ogaire verschwendete keinen Gedanken daran. Unsichtbar und unantastbar für die anderen Elfen, die in ohnmächtigem Zorn und fassungsloser Wut nach ihm suchten, ohne auch nur ansatzweise die wahre Dimension dessen zu ahnen, was er getan hatte, zog er sich zurück. Nur wenig später passierte er die Grenze des Hains und betrat die Welt der Menschen.

1. Kapitel

    Luft! Warum gab es in diesem ganzen verdammten Gebäude nur so wenig Luft? Verzweifelt zerrte Andion am Kragen seines T-Shirts, aber es nützte nichts. Obwohl die Schrecken des heutigen Tages gerade erst begonnen hatten, schien der sadistische Folterknecht, der die Geschicke seines jämmerlichen Lebens lenkte, bereits zu so früher Stunde zu Höchstform aufzulaufen. Trotz der stickigen Hitze im Klassenzimmer stand ihm kalter Schweiß auf der Stirn, und seine Kehle fühlte sich an, als sei sie in einen unsichtbaren Schraubstock eingespannt, der mit jedem Ticken der billigen Plastikuhr, die wie ein höhnisch glotzendes Auge über der geschlossenen Tür seines Gefängnisses hing, eine Umdrehung weiter zusammengedrückt wurde.
    Die Hände unter der zerschrammten Tischplatte zu Fäusten geballt, den würgenden Geschmack naher Panik im Mund, flog sein gehetzter Blick durch den Raum, doch weder die dicken, steinernen Mauern des alten Schulgebäudes mit ihren blinden, staubigen Fenstern noch die viel zu niedrige Decke, die mit dem Gewicht eines Gebirgsmassivs auf ihm lastete, versprachen einen Ausweg aus seiner Qual.
    In ohnmächtiger Wut knirschte er mit den Zähnen. Was zum Teufel war bloß los mit ihm? Er saß hier mit 20 anderen Schülern – und einem fetten Choleriker, der sich selbst hochtrabend Lehrer schimpfte – im gleichen Raum, und doch war er offenbar der Einzige, der das Bedürfnis verspürte, schreiend von seinem Platz aufzuspringen und mit seinen bloßen Händen die grauenhaften Wände niederzureißen, die die Luft und das Licht von ihm fernhielten und langsam das Leben aus ihm herausquetschten wie aus einer Blume, die von einem gleichgültigen Kind gepflückt und zum Trocknen zwischen zwei Betonplatten gelegt worden war. Fast glaubte er zu spüren, wie die Mauern immer dichter zusammenrückten, wie sich die Decke tiefer und tiefer auf ihn herabsenkte, ein hungriges Raubtier, das darauf lauerte, seine wehrlose Beute in einem unachtsamen Augenblick zwischen seinen tödlichen Kiefern zermalmen zu können. Doch natürlich war das eine Illusion. Andion wusste, dass der Tod, wenn er ihm irgendwann einmal von Angesicht zu Angesicht gegenübertrat, weit weniger gnädig mit ihm sein würde.
    Er bohrte sich seine Fingernägel ins Fleisch, bis seine Handflächen schmerzhaft zu pochen begannen. Langsam, fast wie eine düstere Meditation, ließ er seinen Blick über seine Mitschüler wandern, betrachtete stumm ihre teils gelangweilten, teils interessierten Gesichter, während sie dem monotonen Vortrag Mr. Colegraves lauschten. Wieder einmal wurde er sich schmerzlich des Abgrundes bewusst, der zwischen ihm und ihnen klaffte – eines Abgrundes, wie er tiefer und unüberwindbarer gar nicht sein konnte. Längst hatte er es aufgegeben, sich diesbezüglich etwas anderes einreden zu wollen. Er war nicht wie sie, und er würde es niemals sein. Dazu war es nicht einmal nötig, dass sie irgendetwas Bestimmtes taten, ihm durch ihr konkretes Handeln das Gefühl gaben, dass er niemals mehr als ein Fremder unter ihnen sein würde. Er fühlte, dass es so war. Die Empfindungen, die sie bewegten, lagen so offen vor ihm, waren sogar mit geschlossenen Augen so deutlich zu spüren, dass jeder Versuch einer Selbsttäuschung sogleich zu einer lächerlichen Farce verkam, zu einer Lüge, an die zu glauben ihn auch noch den letzten armseligen Rest seiner Würde gekostet hätte, die ihm nach all den Jahren des

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