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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gavénis
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Schrecken, der über seinem Leben schwebte, seine kleine Seele in Furcht und Entsetzen zu ersticken drohte und er Nacht für Nacht zitternd in seinem Bettchen gelegen hatte, voller Angst, der Schatten aus seinen Albträumen habe sich mit seinen Klauen einen Weg in die Wirklichkeit gegraben, um in einem Moment der Unachtsamkeit über ihn herzufallen, zu packen und zu sich in sein kaltes, finsteres Reich hinabzuzerren.
    Ians Geschichten waren das Licht gewesen, das ihm Wärme und Geborgenheit gegeben hatte, mehr noch als die Gegenwart seiner Mutter, sogar mehr als das Flüstern des Windes in den Bäumen und der Anblick der ersten Frühlingsblumen nach der eisigen Umklammerung des Winters. Plötzlich schlug ihm das Herz bis zum Hals, und er hatte das Gefühl, einen kostbaren Diamanten in die schmierigen Hände eines Leichenfledderers gelegt zu haben.
    Schon hörte er, wie Mr. Colegrave tief und theatralisch Atem holte und sich seine Mitschüler in lüsterner Erwartung auf ihren Plätzen vorbeugten, spürte er die hungrige Gier, die plötzlich wie eine Welle aus schnappenden Haifischkiefern durch den Klassenraum wogte.
    „Gepriesen sei der Herr für die Gnade, die Er seinen armseligen Dienern am heutigen Tage hat zuteilwerden lassen“, rief Mr. Colegrave mit der salbungsvollen Stimme eines Herolds, der gerade den Aufmarsch der himmlischen Heerscharen verkündete. „Höret nun und neigt euer Haupt in Ehrfurcht. Das Genie spricht zu euch!“ Er räusperte sich noch einmal lautstark und raschelte bedeutungsvoll mit den Blättern der Strafarbeit in seinen fleischigen Händen.
    „In früheren Zeiten waren sich die Menschen, anders als heute, der Gegenwart der Elfen, Sylphen und Blütenfeen durchaus bewusst, auch wenn sie sie nur selten zu Gesicht bekamen. Sie wussten, dass die Reiche der Menschen und die der Elfen und des Kleinen Volkes sich an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten berührten und überschnitten, so etwa zur Zeit der Wintersonnenwende, der Tagundnachtgleiche oder auch an jedem gewöhnlichen Tag im Zwielicht der Dämmerung. Zäune und Türrahmen waren Orte, an denen wundersame Begegnungen stattfanden, und manch einer fürchtete sie, trieben doch die Wesen des Kleinen Volkes oft ihren Schabernack mit den Menschen.
    Anders als die Sylphen und Blütenfeen, die Kobolde und Gnome waren die Elfen von zu edler und aristokratischer Natur, um an derartig derben Späßen Gefallen zu finden. Sie achteten und respektierten ihre menschlichen Nachbarn, boten ihnen ihre Hilfe an, wo sie benötigt wurde, und lebten in stiller Harmonie mit jenen, deren Dasein um so vieles mühseliger und entbehrungsreicher war als das ihre und deren Lebensflamme bereits wieder erlosch, bevor die ihre noch richtig zu brennen begann. Mächtige Elfenfürsten schlossen heilige Bünde mit menschlichen Familien und gewährten Reichtum und Glück für Hingabe und Treue, und der Wind der Hoffnung und des Friedens wehte durch beide Welten.
    Doch im Laufe der Zeit verlernten die Menschen, an Wunder zu glauben. Sie vergaßen den Zauber der Magie, errichteten Städte aus Stahl und Beton und drängten die Welten des Zwielichts zurück in den Schatten, zurück in die Dunkelheit des Vergessens und der Unwissenheit. Gewaltige Elfenhaine, die einst Kontinente überspannt hatten, schrumpften zu kleinen Inseln zusammen, und die Zahl der Elfen nahm immer mehr ab.
    Mit ihnen verschwanden auch die Wesen des Kleinen Volkes und die Naturgeister. Einige gingen in den Elementen auf, andere flohen in die Elfenhaine und suchten dort Zuflucht vor einer Welt, in der sie keinen Platz mehr für sich finden konnten.“
    Das Gelächter in der Klasse wurde so laut, dass Mr. Colegrave an dieser Stelle abbrach. Verächtlich warf er die Blätter vor Andion auf den Tisch.
    „Was zum Teufel soll das sein, McKay? Falls du es bisher noch nicht bemerkt hast, das hier ist ein seriöser Geschichtsunterricht und keine Märchenstunde! Deine Aufgabe lautete, eine Ausarbeitung über den volkstümlichen Aberglauben des Mittelalters anzufertigen, nicht dir irgendeinen Blödsinn aus den Fingern zu saugen! Verstehst du das etwa unter einer sorgfältigen Recherche? Glaubst du, das da wäre Wissenschaft ? Damit könntest du höchstens in Hogwarts Karriere machen, aber nicht in Amerika, und nicht in meinem Unterricht! “ Mit einer abfälligen Bewegung wischte er die Blätter vom Tisch. „Das ist Mist, McKay! Totaler Mist!“
    Etwas in Andion verkrampfte sich. „Aber ...“
    „Streite es

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