Wächter des Mythos (German Edition)
geknebelten Sandino, der neben der langen Tafel auf dem Boden lag. Schnell wandten sich beide Sandino zu und ließen dabei für einen Moment den Priester unbewacht, ein Fehler, der Sebastiano nicht unterlaufen wäre. Niemals hätte er seine Zielperson aus den Augen gelassen. Sofort nahm er seine Chance wahr.
Schnell wie der Blitz war er auf den Beinen, ergriff das nächstbeste Schwert und holte zum tödlichen Schlag gegen Gabriel aus. Mit hasserfüllter Stimme schrie er triumphierend: »Zum Töten braucht man keine Kraft, sondern schiere Entschlossenheit …«
Im selben Moment zerriss ein Schuss die Luft, peitschte durch den Raum und traf sein Ziel. Für einen Augenblick schien Sebastiano mit erhobener Waffe wie erstarrt, dann brach er in sich zusammen.
Alina und Gabriel waren entsetzt herumgefahren und erblickten mit weit aufgerissenen Augen Inspektor Rey. Langsam ließ er die Waffe sinken. Hinter ihm standen Inspektor Enrique Barreda von der Kriminalpolizei Santiago de Compostela, Maria sowie der Major der Tiraboleiros.
» Entschuldige , Enriques«, sagte Rey zu seinem Kollegen, »eigentlich wollte ich dir in deiner Stadt nicht ins Gehege kommen.«
In der darauffolgenden Stille standen alle einfach nur da, berauscht vom Gefühl, das es jetzt vorbei war.
» Alina! «, platzte es als Erstes aus Maria hervor. Sie versuchte, etwas zu sagen, bekam jetzt aber kaum noch Luft. Dann lagen sich die beiden Frauen erleichtert in den Armen.
»… ich dachte schon, wir kommen zu spät …«
»Ich weiß«, sagte Alina und legte ihr behutsam die Hände auf die Schulter. »Aber ihr wart ja im entscheidenden Augenblick hier.«
»Rey ist an allem schuld …«, begann Maria mit funkelnden Augen.
»Oh, ich bin ihm sehr dankbar«, unterbrach sie Alina. »Er hat Gabriel gerade das Leben gerettet.«
Rey wich ihrem dankerfüllten Blick aus. Er hatte inzwischen Sandino befreit, der etwas benommen am Boden saß und sich seine wunden Handgelenke rieb. Auch Inspektor Enrique Barreda bemühte sich besorgt um Sandino, den Gesandten aus Rom.
»Ich will mich hier ja nicht in die Angelegenheiten der Kirche mischen, Monsignore, doch Sie haben da zwei Leichen in Ihrem Keller. Ich schätze, es dürften beides Priester sein.«
Sandino lächelte matt. »Ja, ich weiß. Es handelt sich um ein internes Problem, dass zu guter Letzt ein glückliches Ende gefunden hat.«
»Wie meinen Sie das, Monsignore? Es ist wirklich Zeit, mit dieser Geheimnistuerei aufzuhören.«
»Da gibt es nicht sehr viel zu erklären, Enrique«, kam ihm Rey zur Hilfe. »Es gibt hier zwei Leichen, ein Opfer und seinen Mörder, den ich soeben in Notwehr erschossen habe. Diese Priester waren Extremisten, einer schlimmer als der andere, daher kam es zu internen Problemen.«
»Und was haben diese beiden Laien damit zu tun?«
»Oh, das ist eine andere Geschichte, die erzähle ich dir später bei einem guten Tropfen Wein«, sagte Rey lachend. Doch Inspektor Enrique Barreda war nicht zu Scherzen aufgelegt und machte ein verdrießliches Gesicht, denn schließlich war Santiago de Compostela seine Stadt.
»Hör zu, Enrique, die beiden Laien verkomplizieren doch nur die ganze Geschichte. Hier geht es um den Tod zweier Kleriker, die ein internes kirchliches Problem zu lösen hatten.«
»Du meinst, die Wahrheit zu erfahren ist unwichtig, ich soll zusehen, dass sich dieser Fall schnell zu den Akten legen lässt?«
»Was sich zu den Akten legen lässt, ist immer gut, und die Wahrheit kann ich dir bei Gelegenheit mal erzählen. Na, was ist? Lass dein Kripo-Team antanzen, wir wollen hier ja nicht den ganzen Tag vertrödeln. Ich bin nicht alle Tage bei dir zu Besuch.«
»Na gut, dann sollen sich diese Laien jetzt aber verziehen. Doch sie müssen vorerst noch hier in Santiago de Compostela bleiben und für mich erreichbar sein.«
Bevor alle den Versammlungsraum der Nazarenos verließen, wandte sich der Major mit einer entschuldigenden Geste an Sandino. Er hatte nur die Befehle seines Vorgesetzten, Kardinal Walter, ausgeführt. Dann folgten sie dem Major der Tiraboleiro durch das unterirdische Labyrinth. Kurz darauf gelangten sie wieder ins Kirchenschiff der jetzt menschenleeren Kathedrale.
In ihrem Zwielicht erkannte Alina einzelne Symbole, sie erschienen ihr jetzt so unergründlich, wie die Mystiker, die sie einst entwickelt hatten. Einige kamen ihr bekannt vor und sahen aus wie Buchstaben des lateinischen Alphabets. Der Großteil jedoch bestand aus bizarren Zeichen, von
Weitere Kostenlose Bücher