Wächter des Mythos (German Edition)
haben, überhaupt noch irgendeine freie Entscheidung zu treffen, wir werden Sie dazu zwingen.« Der Tiraboleiro hielt plötzlich eine eigenartige Waffe in seiner Hand.
»Besitzen Sie dafür überhaupt einen Waffenschein?«, fragte ihn Sandino erstaunt.
Alina starrte auf die Hand des Tiraboleiros: »Was ist das?«
»Eine Elektroschockpistole«, gab ihr Sandino zur Antwort. »Die unauffälligste Art, jemanden vorübergehend außer Gefecht zu setzen.«
»Eine zusätzliche Funktion dieser Waffe ist ihr Betäubungsmodus durch ein entsprechendes Narkotikum«, ergänzte der Tiraboleiro höhnisch. »Also machen Sie uns jetzt keine Schwierigkeiten, wir können Sie auch wie einen Notfall auf einer unserer Sanitätsbahren aus der Kirche tragen.«
* * *
Die Zwölf-Uhr-Messe war längst vorbei, doch Rey und Maria befanden sich noch immer auf dem Weg zur Kathedrale. Ein Unglück kam selten allein, und so waren die beiden Pechvögel, nachdem Rey den Wagen aus der Wildnis wieder herausmanövriert, Maria eingesammelt und sie endlich wieder asphaltierten Boden unter den Füßen hatten, im Verkehr steckengeblieben. In seiner Verzweiflung hatte Rey deswegen Inspektor Enrique Barreda von der Kriminalpolizei Santiago de Compostela zur Hilfe gerufen, der nun bei Kardinal Arnoldo zu intervenieren versuchte.
»Dieser Verkehr …«, brummte Rey, nachdem er das Gespräch mit seinem Freund beendet hatte.
»Und wir mittendrin, na klar … «, murrte Maria böse. »Inzwischen werden Alina und der Priester Sandino von der Kirche ans Kreuz geschlagen, als Sühneopfer sozusagen, nur weil du die glorreiche Idee hattest, eine Abkürzung zu nehmen …«
»Wir sind doch bloß von der Straße abgekommen und hier im Verkehr steckengeblieben, was ist denn schon weiter passiert? Alles andere sind deine Spekulationen. Du brauchst dich gar nicht so aufzuregen.«
»Ich – mich aufregen ? Bevor du mit dem Auto wieder aufgetaucht bist, war ich eine halbe Ewigkeit zu Fuß unterwegs, ich war ja schon fast bei der Kathedrale!«
»Na und? Pilgern macht doch Spaß.«
» Spaß ? Das nennst du Spaß! Dich sollte man im Fegefeuer räuchern lassen und am Spieß auf einem Teller servieren, dass wäre ein Spaß . Wenn die beiden den heutigen Tag überleben, dann hatten sie ganz großes Glück, das kann ich dir sagen.«
Rey parkte den Wagen auf einem Platz in der Nähe der Kathedrale. Dann stieg er aus und hielt Maria liebenswürdig die Tür auf, um sie ein wenig aufzumuntern. Im gleichen Augenblick näherte sich ihnen ein Auto. Der Wagen, ein kleiner hellgrauer Fiat, hielt direkt vor ihnen. Auf der Fahrerseite wurde das Fenster heruntergekurbelt.
»Schön, das du endlich da bist, Gonzalo!«, sagte Enrique Barreda von der Kriminalpolizei Santiago de Compostela. »Du kommst wie gerufen und kannst mich gleich begleiten, ich bin auf dem Weg zu einem Empfang bei Kardinal Arnoldo.«
* * *
Die Tiraboleiros führten Alina und Sandino eine Treppe hinunter, einen langen schmalen Korridor entlang und dann weiter kreuz und quer durch zahllose Gänge. Sie bogen um Ecken, stiegen wieder Treppen hinunter und erreichten schließlich einen Raum, dessen Tür offen stand. Zwei einzelne nackte Glühbirnen, die schmucklos von der Decke hingen, tauchten den Raum in dumpfes Zwielicht.
»So«, sagte einer der Tiraboleiros, »hier können Sie die Nacht über bleiben. Waschraum und WC sind dort drüben in der Ecke des Zimmers zu finden.«
»Es ist nicht ratsam, hier unten alleine herumzulaufen. Sie könnten sich verirren«, fügte der andere mit einem zynischen Grinsen hinzu.
Alina musterte das Zimmer. Es war ein großer Raum, viel zu groß für sie allein. Jemand hatte auf zwei Klappbetten ein Nachtlager bereitet. Um das Ganze nicht allzu trostlos nach einer Zelle aussehen zu lassen, stand ein prächtiges Blumengesteck auf dem Tisch. Ganz offensichtlich, war es den prachtvollen Blumengestecken entnommen, die zuvor die einzelnen Altäre der Kathedrale geschmückt hatten. Alina beugte sich vor und roch an einer Blüte.
»Frisch«, kommentierte sie unbeeindruckt.
Einer der Tiraboleiro wand sich an Sandino. »Sie werden erwartet, kommen Sie bitte mit uns.«
Verunsichert wanderte Sandinos Blick zwischen Alina und den Tiraboleiros hin und her.
»Kardinal Walter will mit Ihnen sprechen! Nun kommen Sie schon, er wartet.«
Bevor sich Sandino zu Wehr setzen konnte, schob ihn einer der beiden Tiraboleiros unsanft zur Tür hinaus.
Alina blieb allein zurück, sie hörte die
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