Wächterin der Dunkelheit: Roman (German Edition)
olympischen Göttern erlaubt hatte, ihren Platz einzunehmen.
Es war in vielfacher Hinsicht ein trauriger Tag für die Menschheit gewesen.
Acheron zwang sich, die Brücke zu Artemis’ Tempel zu überqueren. Vor zweitausend Jahren hatte er diesen Ort verlassen und sich geschworen, nie wieder zurückzukehren.
Er hätte wissen müssen, dass Artemis ihn früher oder später mit einer List zurücklocken würde.
Mithilfe seiner telekinetischen Fähigkeiten öffnete Acheron die riesigen goldenen Portale, während sich die Wut wie eine glühend heiße Faust um seinen Magen legte. Augenblicklich drangen die markerschütternden Schreie von Artemis’ koris – ihren weiblichen Bediensteten – an seine Ohren, als sie schutzsuchend hinter Artemis’ Thron liefen. Sie waren nicht daran gewöhnt, dass ein männliches Wesen einen Fuß in die Privatgemächer ihrer Göttin setzte.
Die schrillen Schreie der Dienerinnen hallten von den Wänden wider. Artemis zuckte zusammen und beförderte die Frauen nacheinander mit einem Schlag aus dem Raum.
»Hast du etwa alle acht getötet?«, fragte Acheron.
Artemis rieb sich die Ohren. »Eigentlich hätte ich es tun sollen, aber ich habe sie lediglich in den Fluss geworfen.«
Erstaunt musterte er sie. Wie ungewöhnlich. Vielleicht hatte die Göttin ja in den vergangenen zweitausend Jahren doch so etwas wie Mitgefühl und Gnade entwickelt.
Was allerdings höchst unwahrscheinlich war.
Nun, da sie allein waren, erhob sie sich von ihrem dick gepolsterten Elfenbeinthron und trat auf ihn zu. Sie trug einen schlichten weißen Peplos, der sich um die üppigen Kurven ihres Körpers schmiegte. Ihre dichten kastanienroten Locken schimmerten im Licht, und in ihren grünen Augen lag ein warmer Glanz.
Doch ihr Blick durchbohrte ihn wie eine spitze Lanze. Heiß. Stechend. Schmerzlich.
Er hatte gewusst, dass es schwer werden würde, sie wiederzusehen – dies war einer der Gründe, weshalb er ihre Rufe so konsequent ignoriert hatte.
Doch etwas im Vorhinein zu wissen und es am eigenen Leib zu erleben, waren zwei grundverschiedene Dinge. Auf die Gefühle, die ihn nun, da er ihr gegenüberstand, zu übermannen drohten, war er nicht gefasst gewesen. Den Hass. Das Gefühl des Verrats.
Und, was am allerschlimmsten war, die Lust. Die Begierde. Das Verlangen.
Ein Teil von ihm liebte sie immer noch. Ein Teil von ihm war bereit, ihr alles zu verzeihen.
Selbst seinen Tod …
»Du siehst gut aus, Acheron. Genauso attraktiv wie bei unserer letzten Begegnung.« Sie streckte die Hand aus.
Er wich einen Schritt zurück. »Ich bin nicht zum Plaudern hergekommen, Artemis. Ich …«
»Früher hast du mich immer Artie genannt.«
»Früher habe ich so manches getan, was ich heute nicht mehr tun kann.« Er starrte sie eindringlich an, um sie daran zu erinnern, was sie ihm genommen hatte.
»Du bist immer noch wütend auf mich.«
»Glaubst du?«
Etwas Helles flackerte in ihren smaragdgrünen Augen auf, was ihn an den Dämon erinnerte, der in ihrem göttlichen Körper wohnte und noch größere Zerstörungskraft besaß als Simi – nicht zuletzt, weil Artemis sich voll und ganz im Klaren war, welchen Schaden sie anrichten konnte. »Ich hätte dich zwingen können, zu mir zu kommen, das ist dir hoffentlich klar. Aber ich war dir und deinem Trotz gegenüber sehr nachsichtig. Mehr, als ich es hätte sein sollen.«
Er wandte den Kopf ab. Sie hatte recht. Sie allein besaß die Nahrungsquelle, die er brauchte, um weiter existieren zu können.
Wenn er zu lange ohne Nahrung blieb, würde er zum unkontrollierbaren Killer und zur Gefahr für jeden werden, der ihm zu nahe kam.
Und nur Artemis besaß das, was er brauchte, um der zu bleiben, der er war. Bei klarem Verstand. Mitfühlend.
»Wieso hast du es dann nicht getan?«, fragte er.
»Weil ich dich kenne. Hätte ich es versucht, hättest du dafür gesorgt, dass wir beide dafür bezahlen.«
Und auch in diesem Punkt hatte sie recht. Seine Tage der Unterwerfung gehörten der Vergangenheit an – davon hatte er in seiner Kindheit und Jugend mehr als genug gehabt. Nachdem er erst einmal eine Kostprobe von der Freiheit und der Macht bekommen hatte, war ihm bewusst geworden, dass er beides viel zu sehr liebte, um wieder zu werden, was er früher gewesen war.
»Erzähl mir von diesen Dark Huntern, die du erschaffen hast«, forderte er sie auf.
»Ich habe dir doch gesagt, dass du Hilfe brauchst.«
Er verzog den Mund. »Ich brauche keine Hilfe.«
»Ich und die anderen
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