Wächterin der Dunkelheit: Roman (German Edition)
einen Akkord anschlug. »Und die Antwort lautet nein.«
Alexion mimte ein Stirnrunzeln, das er nicht empfand. »Wieso?«
»Weil du ihnen nicht helfen kannst. Kyros hat schon vor langer Zeit eine Entscheidung getroffen. Und nun muss er …«
»Unsinn!«
Acheron hielt mitten in der Bewegung inne und warf Alexion einen wütenden Blick zu. Das flirrende Silber seiner Augen färbte sich rot und warnte Alexion, dass die zerstörerische Seite von Acheron an die Oberfläche drang.
Doch Alexion ließ sich nicht beirren. Er stand lange genug in Acherons Diensten, um zu wissen, dass er ihn nicht wegen mangelnden Gehorsams töten würde. Zumindest nicht, wenn es sich um einen so kleinen Verstoß handelte. »Mir ist klar, dass du all das längst weißt, Boss. Aber du hast mir auch beigebracht, wie viel ein freier Wille wert ist. Mag sein, dass Kyros ein paar schlechte Entscheidungen getroffen hat, aber wenn ich als ich selbst zu ihm gehe, kann ich ihn vielleicht umstimmen.«
»Alexion …«
»Komm schon, akri , in über neuntausend Jahren habe ich dich noch nie um einen Gefallen gebeten. Kein einziges Mal. Aber ich kann ihn nicht einfach sterben lassen. Ich muss es wenigstens versuchen. Verstehst du das denn nicht? Wir waren zur selben Zeit Menschen. Wir waren Brüder im Geiste und im Kampf. Unsere Kinder haben miteinander gespielt. Er ist gestorben, als er versucht hat, mir das Leben zu retten. Ich bin ihm diese letzte Chance schuldig.«
Acheron stieß einen tiefen Seufzer aus und begann wieder zu spielen – »Every Rose Has Its Thorn«. Er sah auf. »Also gut. Dann geh. Aber sei dir darüber im Klaren, dass du für die Entscheidung, die er trifft, nicht verantwortlich bist. Bereits am Tag, als er erschaffen wurde, wusste ich, dass dieser Moment kommen würde. Seine Entscheidungen sind allein seine Sache. Du kannst nicht die Verantwortung für seine Fehler übernehmen.«
Alexion verstand voll und ganz. »Wie viel Zeit gibst du mir?«
»Du kennst die Grenzen deiner Existenz. Du hast zehn Tage, dann musst du wieder zurück sein. Und am Ende des Monats wirst du mein Urteil über sie vollstrecken.«
Alexion nickte. »Danke, akri .«
»Bedank dich nicht bei mir, Alexion. Es ist eine abscheuliche Aufgabe, die ich dir auferlege.«
»Ich weiß.«
Acheron hob den Kopf und sah ihn an. Diesmal war der Ausdruck in seinen flirrenden silbrigen Augen anders als sonst. Irgendetwas …
Er wusste nicht, was es war, doch er erschauderte unter Acherons Blick. »Was?«, fragte er.
»Nichts.« Acheron spielte weiter.
Alexions Magen zog sich vor Anspannung zusammen. Was wusste sein Boss? Was wollte er ihm vorenthalten?
»Ich kann es nicht ausstehen, wenn du mir etwas verschweigst.«
Acheron grinste nur schief. »Ich weiß.«
Alexion wandte sich zum Gehen, doch bevor er sich auf den Weg zu seinem Zimmer machen konnte, spürte er, wie er ins Straucheln geriet. In der einen Sekunde hatte er noch im Thronsaal in Katoteros gestanden, in der nächsten lag er mit dem Gesicht nach unten mitten auf einer kalten, dunklen Straße.
Schmerz zuckte durch seinen Körper und raubte ihm den Atem, während ihm der durchdringende Geruch des Asphalts in die Nase stieg.
In seinem Dasein als Schatten in Katoteros war er zu gewöhnlichen Empfindungen nicht imstande. Was er aß, hatte keinen Geschmack, und all seine Sinneswahrnehmungen waren eingeschränkt. Doch nun, da Acheron ihn in die Welt der Lebenden katapultiert hatte …
Au! Sein ganzer Körper schmerzte. Jeder Knochen in seinem Leib, seine Haut. Und am schlimmsten war der Schmerz seiner aufgeschlagenen Knie.
Alexion rollte herum und wartete darauf, dass sein Körper sich vollends verwandelte und er die Kontrolle über ihn wiedererlangte. Wann immer er auf die Erde kam, musste er diese kurze Phase hinter sich bringen und sich wieder daran gewöhnen, zu atmen und zu »leben«. Als seine Sinne wiedererwacht waren, registrierte er Geräusche, die darauf schließen ließen, dass irgendwo gekämpft wurde. Eine Schlacht?
Acheron hatte das schon mehr als einmal mit ihm gemacht. Manchmal war es einfacher, ihn mitten im Chaos auf die Erde kommen zu lassen. Doch hier sah es nicht nach einem Schlachtfeld aus. Sondern eher …
Nach einer Seitenstraße.
Alexion stemmte sich hoch und erstarrte. Sechs Daimons und ein Mensch kämpften in einem Hinterhof. Angestrengt spähte er ins Halbdunkel, doch sein Sehvermögen war noch nicht vollständig hergestellt.
»Okay, Boss«, sagte Alexion halblaut. »Wenn
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