Wächterin der Träume
schämen sollen, in dieser Situation Eifersucht zu empfinden. »Wie schwer sind ihre Verletzungen?«
»Sie hat Platzwunden am Kopf und im Gesicht«, sagte Dr. Van Owen. »Sie wurde geschlagen, gewürgt und sexuell missbraucht. Ich glaube allerdings nicht, dass die Verletzungen operativ behandelt werden müssen. In ein, zwei Tagen kann Ihre Frau sicher wieder nach Hause, aber sie sollte einen Spezialisten aufsuchen.«
Noah runzelte die Stirn. »Ich dachte, sie muss nicht operiert werden?«
Ich legte ihm die Hand auf den Arm und sagte leise: »Das ist wohl nicht die Art von Spezialist, den die Ärztin gemeint hat, Noah.« Im Geiste ging ich schon mal mein Adressbuch durch. Kannte ich jemanden, der Opfer von Gewalttaten therapierte? Bestimmt konnte das Krankenhaus auch jemanden empfehlen.
Noahs Gesicht lief dunkelrot vor Wut an. Für einen Augenblick dachte ich, er würde die Beherrschung verlieren.
»Die Polizei hat schon mit ihr gesprochen«, fuhr Dr. Van Owen fort, nachdem sie vorsichtshalber einen Schritt zurückgetreten war. »Einer der Beamten kann Ihnen sicher Genaueres sagen. Ihre Frau hat darum gebeten, dass man Sie sofort zu ihr lässt. Ihr Zimmer ist das übernächste auf der linken Seite.«
Noah dankte ihr. Ich wartete, bis sie gegangen war, und fragte dann: »Soll ich hier auf dich warten?«
»Komm mit.« Er blickte mich aus sorgenvollen Augen an. »Du wirst die richtigen Worte finden. Vielleicht kannst du ihr sogar helfen …«
Ich schüttelte den Kopf. »Das halte ich für keine gute Idee, Noah. Ich möchte nur ungern eine berufliche Beziehung mit deiner Exfrau eingehen.«
Er drückte meine Hand. »Gut. Komm trotzdem mit.«
»In Ordnung.« Ich gab nach, aber nur, weil ich genau wusste, dass er mich brauchen würde, wenn er Amanda sah.
»Ich werde mich aber im Hintergrund halten«, fügte ich hinzu, während wir Hand in Hand durch den Flur gingen. »Vielleicht ist ja Amanda von meiner Anwesenheit nicht ganz so angetan wie du.« In der umgekehrten Situation wäre ich es jedenfalls nicht.
Ich folgte Noah ins Zimmer und hörte, wie er scharf die Luft einzog, als er Amanda erblickte.
»Noah«, ertönte eine krächzende Stimme. Amanda klang heiser und schwach. Ich war nicht erpicht darauf, das dazugehörige Gesicht zu sehen.
Er ließ meine Hand los und trat näher ans Bett. Ich blieb stehen, wo ich war. Meine dumme Eifersucht war endgültig verflogen, und als Noah beiseitetrat und den Blick auf die Frau im Bett freigab, empfand ich nur noch überwältigendes Mitleid.
Und großes Entsetzen.
Die Amanda, die ich einige Wochen zuvor bei Noahs Vernissage kennengelernt hatte, war für meinen Geschmack fast schon zu hübsch gewesen, eine sonnengebräunte Blondine mit großen Augen und zarten Gesichtszügen. Sie war so zierlich, dass ich mir neben ihr wie ein käsiger, schwerfälliger Trampel vorgekommen war.
Diese Frau hier hatte keinerlei Ähnlichkeit mehr mit Amanda. Ihr Gesicht war verquollen, und ihre Haut wies unzählige Blutergüsse auf. Ein Auge war völlig zugeschwollen. Am Hals sah man lilarote Abdrücke von Händen. Kein Wunder, dass ihre Stimme so schrecklich klang – der Dreckskerl hatte sie gewürgt.
Die Blutergüsse reichten bis zu den Schultern. Dort, wo der Ausschnitt ihres Krankenhausnachthemds verrutscht war, konnte ich Schürfwunden erkennen. O Gott, waren das da etwa Zahnabdrücke? Ich schluckte schwer.
Doch den schlimmsten Anblick bot ihr Kopf. Ihr goldenes Haar, das unter einer Mullbinde hervorlugte, war blutverkrustet. Auf der weißen Binde hatte sich ein leuchtend roter Blutfleck gebildet.
Obwohl ich mir jahrelang die Serie
Law and Order: New York
angesehen hatte, in der es um die Aufklärung von Sexualverbrechen ging, war ich auf diesen Anblick nicht vorbereitet.
Zornig dachte ich darüber nach, wie viele Verrückte es auf der Welt doch gab, und der psychologisch interessierte Teil in mir fragte sich, was geschehen musste, damit ein Mensch zu so einer Tat fähig war.
Auch ich hatte einmal diese Wehrlosigkeit verspürt, als mich der Traumdämon bei dem Versuch, Macht über Noah zu gewinnen, gewaltsam verführte. Er hatte dafür gesorgt, dass mein Körper ihn begehrte, obwohl ich ihn eigentlich verabscheute. Er hatte mich zwar damals nicht verletzt, doch bei dem Gedanken daran, was er getan hatte, verdrehte sich mein Magen wie ein Strick. Es war schlimmer gewesen als die Verletzungen, die ich davontrug, als er mich wie einen Punching Ball behandelte.
Aber das war
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