Während die Welt schlief
Ich will töten.
Aber ich kann nicht. Ich weiß, ich bin dazu nicht fähig. Im Traum kam die Liebe zu mir und küsste mich auf die Stirn.
»Die Liebe ist das Wichtigste, mein Liebling«, sagt sie. »Nicht einmal im Tod ist unsere Liebe schwächer geworden, denn ich lebe in deinen Adern.«
Meine geliebte Frau. Meine wunderschöne Fatima.
Ich will zurück in meinen Traum, um sie wiederzusehen.
Ich weiß, ich darf Fatimas Liebe nicht durch Rache entweihen. So gerne ich die Schuldigen bluten sehen will, ich werde den Namen meines Vaters nicht mit den Lügen besudeln, die sie erzählen werden. Ich darf Amal nicht alleine in der Welt lassen. Ich habe meine Versprechen nicht gehalten. Ich habe es versucht. Meine Frau und meine Kinder zu beschützen. Das Leben meiner Schwester in Richtung Familie und Liebe zu lenken. Ich habe es versucht, Baba.
Jetzt bin ich schon so weit gegangen. Kann ich noch umkehren? Die Maschinerie ist bereits in Gang gesetzt.
»Ich bringe das nicht fertig«, sage ich.
»Er bringt das nicht fertig. Der Feigling. Aber er wird dafür büßen«, sagen sie.
Ich werde dafür büßen.
Ich werde diesen Schmerz ertragen, ohne ihn verursacht zu haben. Ich werde meinen Zorn in mich hineinfressen und ihn meine Eingeweide verbrennen lassen, aber der Tod soll nicht mein Vermächtnis sein.
»Ich kann dich verstehen, Bruder«, sagt ein anderer.
Ein anderer fährt die Bombe vor das amerikanische Gebäude. Ich werde dafür büßen.
Im Fernsehen sehe ich, was ich schon in meiner Dunkelheit sah. Es wohnt in mir, während all der abgestorbenen Jahre, die nicht enden wollen. Mein Gesicht ist in den Zeitungen und auf den Bildschirmen in der ganzen Welt zu sehen.
»Die Welt kennt dein Gesicht, Yussuf«, sagen sie und reichen mir eine Pistolenkugel. »Wenn du geschnappt wirst, solltest du damit deine Ehre retten.«
Meine Pistole und die einzelne Kugel sind in meiner Tasche. Ich trage meinen Tod, meine Ehre, mit mir herum. Als vermeintlicher Terrorist suche ich in den zwielichtigen Ecken des Lebens nach Arbeit. In Basra verdinge ich mich als Tagelöhner. In Kuwait schleppe ich Steine. In Jordanien werde ich beinahe zum Bettler. Schließlich werde ich Hausmeister in einer Schule. Wie störrisch das Schicksal doch ist und wie fest es sich an die Gewohnheit klammert. Ich schlafe in einem Zimmer unter der Bibliothek. Wie gnädig das Schicksal doch ist. Und überall bin ich alleine mit den Büchern meines Vaters, meiner Pistolenkugel, der Liebe zu Fatima, der Vergangenheit und den Erinnerungen an die Zukunft.
Ich schreibe so viele Briefe an Amal. Stapelweise liegen sie in meinem schmuddeligen Zimmer. Aber sie würde von Neuem
durch die Hölle gehen, wenn wir Kontakt hätten und man mich entdecken würde. Ach, Ismael, ich habe deine Narbe so lange auf meinen Schultern getragen, dass sie ein Teil meiner eigenen Haut geworden ist.
Ich lese die Nachrichten vom April und weine. Ich weine Dunkelheit und Liebe. Hier, unter der Bibliothek, wo ich lebe, schreibe ich diese Worte auf www.aprilblossoms.com :
Liebste Amal, mit einem langen Vokal der Hoffnung.
Manchmal ist die Luft erfüllt von den Seufzern der Erinnerung. Manchmal bringt der Wind den Duft der Olivenbäume oder den von Jasmin aus dem Haar meiner Geliebten zu mir. Manchmal ist der Wind auch so still wie tote Träume. Manchmal ist die Zeit so unbeweglich wie ein Leichnam, und ich liege mit ihm im Bett.
Dort schlafe ich und warte darauf, dass meine Ehre von allein zu mir findet.
Ich werde immer ein Mensch bleiben, obwohl ich meine Versprechen nicht gehalten habe.
… und meine Liebe wird man mir nie aus den Adern reißen.
NACHWORT
D ie Figuren in diesem Buch sind erfunden – Palästina ist es nicht. Die historischen Ereignisse und die bekannten Personen, die in der Geschichte erwähnt werden, sind oder waren real. Um die historischen Gegebenheiten möglichst genau nachzeichnen zu können, habe ich mich auf viele verschiedene Textquellen gestützt, die ich im Literaturverzeichnis angegeben habe. In einigen Fällen habe ich auch im Text daraus zitiert. Ich bin den Historikern dankbar, die sich darum bemühen und bemüht haben, die Dinge wieder geradezurücken – und dafür oft persönliche und berufliche Nachteile hinnehmen mussten.
Es war ein langer Weg, diese Geschichte zu schreiben und an die Öffentlichkeit zu bringen. Unter dem Titel The Scar of David wurde sie erstmals veröffentlicht, bei einem kleinen Verlag, der kurz danach pleiteging. In der
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