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Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Titel: Wände leben - Samhain - Ferner Donner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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herum und stürzte in die Richtung davon, aus der er gekommen war. Zuerst prallte er gegen eine der Wände, dann, als er die Treppe empor hastete, blieb er auch noch mit dem Fuß an einer Steinstufe hängen und strauchelte. Die Brille rutsche ihm von der Nase, doch es gelang ihm, sie in der Luft aufzufangen. Sein Ziel war das Hauptportal an der Vorderseite der Schule – nein, falsch, das brachte ihm nichts! Er hatte es hinter sich abgeschlossen wie immer, damit keine Unbefugten Zugang hatten, und sein Schlüsselbund lag nun unten vor dieser Tür. An einem Ort, an den er auf keinen Fall zurückkehren würde.
    Blieb also nur noch der Weg durch eines der Fenster.
    Thorsten rannte in das erstbeste Klassenzimmer. Er erwartete, dort unglaubliche Dinge zu sehen, Tafeln, die mit ihren Flügeln klappten zum Beispiel, doch der Raum lag still und ruhig vor ihm. Hatte er die Sache mit der Pflanze und der Tür wirklich gesehen? Konnte ein Mensch so überspannt sein, dass er Dinge zu sehen glaubte, die es nicht gab – und sich dabei noch nicht einmal gestresst fühlen?
    Er öffnete ein Fenster und kletterte hinaus. Zwei Kinder beobachteten ihn aus der Ferne dabei. Es war ihm vollkommen egal, was sie dachten und was sie ihren Eltern erzählten. Er lief zu seinem Lieferwagen und dankte dem Himmel, dass er wenigstens seinen Autoschlüssel noch bei sich trug.

4
    Ein Hase ergriff die Flucht, und Vögel flogen auf.
    Unter dem Pflanzengewirr regte sich etwas.
    Der Motor des Ferraris lief an, die Reifen drehten zunächst durch, dann griffen sie. Das Efeu, das den Wagen in der Umklammerung hielt, zerriss mit peitschenartigem Knallen. Blätter wirbelten. Das Auto fuhr gegen einen jungen Baum und stieß ihn um. Die Lenkung schlug ein, das Fahrzeug jagte mit aufheulendem Motor nach links. Als die Kühlerhaube den zu einem Meter Höhe angewachsenen Ameisenhügel rammte, schien die Fahrt zu Ende zu sein. Der Motor erstarb. Die Natur erholte sich wieder. Das Efeu kroch aufs Neue auf den Wagen zu, der umgeknickte Baum trieb neue Blüten, was für einen zufälligen Beobachter wie eine Darstellung in Zeitraffer angemutet hätte.
    Doch im Inneren des Sportwagens schlug weiter ein organisch-anorganisches Herz, und einige Minuten später war das klagende Jaulen der Zündung zu hören. Der Motor brüllte auf wie ein waidwunder Löwe, das Auto machte einen Satz zurück und befreite sich aus dem von Millionen schwarzer Waldameisen überfluteten Erdhügel. Die Schleuderbewegungen, die der Wagen vollführte, hatten etwas Unwilliges an sich. Die Pflanzen, die das Auto eben noch überwuchert hatten, wurden von der glatten Karosserie geworfen, die das weichere, lebendigere Innenleben des Fahrzeugs wie eine Rüstung schützte.
    Nicht nur in der direkten Umgebung des Ferraris, der drei Wochen lang hier gestanden hatte, war es zu dem enormen Wachstum gekommen. Noch im Umkreis von zwanzig bis dreißig Metern hatte die Natur einen Energieschub erhalten. Pflanzen hatten das Doppelte ihrer gewöhnlichen Größe erreicht, abgestorbenes, ja sogar bereits faulendes Holz hatte neue Triebe gebildet. Der Wagen brauchte eine halbe Stunde, bis er sich aus diesem Ort dschungelartigen Wachstums befreit hatte. Als er auf den Waldweg und schließlich auf die Landstraße einbog, war er noch immer mit Pflanzenresten behangen. An den Felgen, den Spiegeln und anderen Stellen hatten sich Reste von Gras, Blättern und Efeu verfangen. Allerdings bot der Ferrari mit seinem stromlinienförmigen, glatten Design weniger Angriffsflächen als andere Autos – zweifellos der einzige Grund dafür, dass er sich überhaupt aus seinem vollständig zugewachsenen Versteck hatte befreien können.
    Mit überhöhter Geschwindigkeit preschte der Wagen über die Landstraße in Richtung Reutlingen.
    Die Schule begann heute.

5
    Harald hatte das Gefühl, dass kaum einer der Lehrer in der letzten Nacht geschlafen hatte. Dunkle Ringe um die Augen waren ihr gemeinsames Kennzeichen, und schweißnasse Hände gehörten ebenfalls dazu, wie die Flecken auf den Tischen verrieten, auf denen die Lehrer sich abstützten.
    Das neue Schuljahr für eine Klasse zu beginnen, die in den Sommerferien eine ihrer Mitschülerinnen durch Mord verloren hatte, war ein Albtraum für die Pädagogen. Besonders die Deutschlehrerin, deren Unterricht in der ersten Stunde anstand, tat sich schwer mit der Situation. Ihre übliche Eloquenz war verschwunden, sie stammelte, starrte dabei vor sich auf den Boden, und anstatt einen

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