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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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zu spät. Ohnehin dauern die Schreie nicht sehr lange. Die kleinen Hände der Mädchen sind zu kalten Krallen geworden, die sich tief in sein Fleisch bohren, als sie ihn hinunterziehen, bis das Wasser seinen Mund füllt und seine Schreie ertränkt. Er sieht das Schiff im letzten aschfahlen Widerschein des Sonnenuntergangs und - warum hatte er das zuvor nicht gesehen? Wieso hatte er das nicht gewusst? - erkennt, dass es eine Hulk, ein Pestschiff, ein Totenschiff ist. Dort wartet etwas auf ihn, etwas in einem Leichentuch, und er würde schreien, wenn er könnte, aber jetzt füllt das Wasser seine Augen, und es gibt weitere Hände, die nur aus nackten Knochenbündeln zu bestehen scheinen und seine Knöchel umklammern. Eine Kralle reißt ihm einen Schuh vom Fuß, dann kneift sie ihn in den Zeh … als wollte sie »Dieses kleine Schweinchen ging auf den Markt« mit ihm spielen, während er ertrinkt.
    Als Emery Paulson ertrinkt.

19
    April 1927
    I Jemand schrie in der Finsternis irgendwas. Es klang wie: Mach, dass er zu kreischen aufhört. Dann war ein kurzes, hartes Klatschgeräusch zu hören, und die Finsternis hellte sich zu Dunkelrot auf, erst auf einer Seite, dann auch hinten. Das Rot wogte auf die Stirnseite der Finsternis zu wie eine Blutwolke im Wasser.
    »Du hast zu fest zugeschlagen«, sagte jemand. War das Jack?
    »Boss? He, Boss!« Jemand schüttelte mich, also hatte ich noch einen Körper. Vermutlich war das gut. Jack schüttelte mich. Jack wer? Ich konnte darauf kommen, aber ich musste seitwärts denken. Er trug den gleichen Namen wie jemand im Wetterkanal …
    Weiteres Schütteln. Grober. » ¿Muchacho? Bist du da?«
    Mein Kopf schlug irgendwo an, und ich öffnete die Augen. Links von mir kniete Jack Cantori, sein Gesicht angespannt und ängstlich. Es war Wireman, der sich über mich beugte und mich schüttelte wie einen Daiquiri. Die Puppe lag bäuchlings auf meinem Schoß. Ich fegte sie mit angewidertem Grunzen beiseite... in der Tat: Oh, du böser Mann . Noveen landete mit papierenem Rascheln in dem Haufen toter Wespen.
    Plötzlich fielen mir nach und nach wieder all die Orte ein, an die sie mich mitgenommen hatte: eine höllische Tour. Der Weg hinunter zum Shade Beach, den Adriana Eastlake (sehr zum Missfallen ihres Vaters) den Trinkerboulevard genannt hatte. Der Strand selbst und die schrecklichen Dinge, die dort passiert waren. Der Swimmingpool. Die Zisterne.
    »Seine Augen sind offen«, sagte Jack. »Gott sei Dank! Edgar, hörst du mich?«
    »Ja«, sagte ich. Meine Stimme war vom Schreien heiser. Ich war ausgehungert, aber als Erstes wollte ich etwas in meine brennende Kehle schütten. »Durst - kannst du’nem Bruder aushelfen?«
    Wireman gab mir eine der großen Flaschen Evian. Ich schüttelte den Kopf. »Pepsi.«
    »Im Ernst, muchacho? Wasser ist vielleicht...«
    »Pepsi. Koffein.« Das war nicht der einzige Grund, aber er würde genügen.
    Wireman stellte das Evian zurück und gab mir eine Pepsi. Sie war lauwarm, aber ich ließ die Hälfte hinuntergluckern, rülpste und trank noch mal. Ein Blick in die Runde zeigte mir nur meine Freunde und ein Stück eines baufälligen Korridors. Das war nicht gut. Tatsächlich war das schrecklich. Meine Hand - ich hatte eindeutig wieder nur eine - war steif und pochte, als hätte ich sie mindestens zwei Stunden lang ständig gebraucht... wo also waren die Zeichnungen? Ich hatte große Angst, ohne die Zeichnungen würde alles verblassen wie Träume nach dem Aufwachen. Und ich hatte mehr als mein Leben riskiert, um diese Informationen zu beschaffen. Ich hatte meinen Verstand aufs Spiel gesetzt.
    Ich mühte mich ab, versuchte auf die Beine zu kommen. Ein stechender Schmerz durchzuckte meinen Kopf, den ich mir an der Wand angeschlagen hatte. »Wo sind die Bilder? Bitte sagt mir, dass es Bilder gibt.«
    »Keine Sorge, muchacho , die sind hier.« Wireman trat zur Seite und ließ mich einen halbwegs ordentlichen Stapel Artisan-Blätter sehen. »Du hast wie verrückt gezeichnet, dabei ein Blatt nach dem anderen abgerissen. Ich hab sie aufgehoben und gestapelt.«
    »Okay. Gut. Ich muss was essen. Ich verhungere.« Und das schien auch buchstäblich die Wahrheit zu sein.
    Jack sah sich unbehaglich um. Der Eingangsbereich, der mit Nachmittagslicht angefüllt gewesen war, als ich Noveen von Jacks Knie genommen und mich in ein schwarzes Loch verabschiedet hatte, war jetzt düsterer. Nicht dunkel - noch nicht, und als ich aufsah, konnte ich feststellen, dass der Himmel über

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