Wahn - Duma Key
Versäumen Sie nicht, die Tatsache hinzuzufügen, dass sie knietief in Wasser stehen, das ihnen eigentlich bis über die Köpfe reichen müsste. Ein Augenzeuge - beispielsweise Emery Paulson - würde das bemerken, wenn er hinsähe, aber so viele Leute sind nicht bereit, das zu sehen, was sie direkt vor Augen haben.
Bevor es - natürlich - zu spät ist.
Er ist an den Strand heruntergekommen, um eine Zigarre zu rauchen. Das hätte er unter dem Säulenvordach oder auf der Veranda hinter dem Haus tun können, aber ein unerklärlich starker Drang hat ihn dazu bewogen, der tief ausgefahrenen Straße zu folgen, die Adie den Trinkerboulevard nennt, und dann den steileren, sandigen Pfad zum Strand hinunter zu nehmen. Diese Stimme hat ihm eingeredet, seine Zigarre würde dort besser schmecken. Er kann auf einem von den Wellen angeschwemmten Baumstamm sitzen und das Nachglühen des Sonnenuntergangs beobachten, während das Orange allmählich zu Dunkelrot und Graublau wird und die ersten Sterne hervorkommen. Der Golf wird bei diesem Licht hübsch aussehen, suggeriert die Stimme, auch wenn der Golf so geschmacklos war, den Beginn ihrer Ehe dadurch zu markieren, dass er zwei der kleinen Schwestern seiner Liebsten verschlungen hat.
Aber hier gibt es offenbar mehr zu beobachten als nur einen Sonnenuntergang. Dort draußen liegt ein Schiff. Ein altmodisches Schiff, ein ranker, schlanker Dreimaster mit gerefften Segeln. Statt sich auf den Baumstamm zu setzen, geht er den Strand entlang, wo der trockene Sand feucht und fest und zusammengepresst ist, und bewundert diese Schwalbenform vor dem Sonnenuntergang. Irgendeine optische Täuschung lässt es so aussehen, als schiene das letzte Rot des Tages glatt durch den Schiffsrumpf.
Während er das denkt, kommt der erste Schrei, der wie ein Silberglöckchen durch seinen Kopf hallt: Emery!
Und dann kommt ein weiterer: Emery, Hilfe! Die Unterströmung! Der Strom!
Nun sieht er die Mädchen, und sein Herz macht einen gewaltigen Satz. Es scheint ihm bis in die Kehle zu steigen, bevor es an seinen Platz zurücksackt, wo es doppelt so schnell wie zuvor rast. Die noch nicht angezündete Zigarre entgleitet ihm aus kraftlosen Fingern.
Zwei kleine Mädchen, die genau gleich aussehen. Sie scheinen identische Jumper zu tragen, und obwohl Emery nicht imstande sein dürfte, bei dem schwindenden Tageslicht Farben zu unterscheiden, kann er es doch: Der eine Jumper ist rot mit einem L auf der Vorderseite, der andere blau mit einem T .
Der Strom!, ruft das Mädchen mit dem T auf seinem Jumper und streckt flehend die Arme aus.
Die Unterströmung!, ruft das Mädchen mit dem L .
Und obwohl keines der Mädchen im Geringsten mit dem Ertrinken zu kämpfen scheint, zögert Emery keine Sekunde lang. Seine Freude lässt ihn nicht zögern, auch die helle Gewissheit nicht, dass dies eine wundervolle Chance ist: Wenn er mit den Zwillingen aufkreuzt, wird sein bisher abweisender Schwiegervater sehr rasch sein Verhalten ändern. Und die Silberglöckchen, die diese Stimmen in seinem Kopf anschlagen, auch sie drängen ihn vorwärts. Er beeilt sich, Adies Schwestern zu retten, die verschollenen Mädchen an den Händen zu nehmen und mit ihnen an Land zu platschen.
Emery! Das ist Tessie, ihre Augen in ihrem porzellanblassen Gesicht dunkel … aber ihre Lippen sind rot .
Emery, beeil dich! Das ist Laura, die ihm ihre triefnassen Hände entgegenstreckt und deren feuchte Locken an ihren bleichen Wangen kleben.
Er ruft: Mädchen, ich komme! Haltet durch!
Dann auf sie zuplatschend, erst bis zu den Knöcheln, nun schon bis zu den Knien im Wasser.
Er ruft: Kämpft!, als täten sie etwas anderes, als in Wasser zu stehen, das ihnen nur bis über die Knie reicht, während er jetzt schon bis zu den Schenkeln im Wasser ist - und das bei einer Körpergröße von fast einem Meter neunzig.
Das Wasser des Golfs - Mitte April noch ziemlich kalt - reicht ihm bis an die Brust, als er sie erreicht, als er die Hände nach ihnen ausstreckt und als sie mit Händen nach ihm greifen, die kräftiger sind, als die Hände kleiner Mädchen sein sollten; als er nahe genug heran ist, um den Silberglanz in ihren glasigen Augen sehen und den salzigen Fischgeruch ihres verrottenden Haars riechen zu können, ist es zu spät. Er wehrt sich, seine Freudenschreie und seine Ermahnungen an die Mädchen, gegen die Unterströmung anzukämpfen, verwandeln sich erst in lautstarke Protestschreie und dann in entsetztes Kreischen, aber inzwischen ist es viel
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