Wahn - Duma Key
Nannuzzi entschied sich dafür, seine Aufkleber in der rechten oberen Ecke der Gemälde anzubringen, wo sie wie Reiter über Karteikarten aufragten. Dann nahm er Wireman und mich mit in sein Büro. Jack wurde ebenfalls eingeladen, aber er entschied sich klugerweise dafür, draußen bei den Bildern zu bleiben.
In seinem Büro bot Nannuzzi uns erst Kaffee an, den wir dankend ablehnten, und dann Wasser, das wir dankend annahmen. Ich nahm auch dankbar ein paar Tylenol-Kapseln an.
»Wer war diese Frau?«, fragte Wireman.
»Mary Ire«, sagte Nannuzzi. »Sie gehört zum Inventar der Sonnenküstenkunstszene. Verlegt ein kostenloses Kultur- und Klatschblättchen namens Boulevard . Es erscheint monatlich, in der Touristensaison alle vierzehn Tage. Sie lebt in Tampa - in einem Sarg, wie manche Witzbolde aus der Branche behaupten. Ihr besonderes Interesse gilt neuen einheimischen Künstlern.«
»Sie sah verdammt gerissen aus«, sagte Wireman.
Nannuzzi zuckte mit den Schultern. »Mary ist in Ordnung. Sie hat schon vielen Künstlern geholfen und ist seit ewigen Zeiten im Geschäft. Das macht sie in einer Stadt, in der wir größtenteils von Laufkundschaft leben, zu einer wichtigen Einrichtung.«
»Verstehe«, sagte Wireman. Ich war froh, dass irgendjemand das tat. »Sie ist eine Türöffnerin.«
»Mehr als das«, sagte Nannuzzi. »Sie ist eine Art Wegweiserin. Wir sorgen gern dafür, dass sie glücklich ist. Wenn wir können, versteht sich.«
Wireman nickte. »Hier an der Westküste Floridas gibt’s eine gut eingespielte Künstler-und-Galerien-Wirtschaft. Mary Ire versteht und fördert sie. Und würde die Happy Art Galleria in dieser Straße entdecken, dass sie Elvis-Porträts aus Makkaroni auf Samt für zehntausend Dollar das Stück verkaufen kann, würde Mary sie...«
»Mary würde sie in der Luft zerreißen«, sagte Nannuzzi. »Entgegen der Überzeugung der Kunstsnobs - meist zu erkennen an ihrer schwarzen Kleidung und ihren klitzekleinen Handys - sind wir nicht bestechlich.«
»Haben Sie sich’s jetzt von der Seele geredet?«, fragte Wireman, ohne wirklich zu lächeln.
»Fast«, sagte er. »Ich will nur sagen, dass Mary unsere Situation versteht. Wir verkaufen gute Sachen, die meisten von uns, und manchmal verkaufen wir großartige Sachen. Wir tun unser Bestes, um neue Künstler zu entdecken und zu fördern, aber manche unserer Kunden sind reicher, als ihnen guttut. Ich denke an Leute wie Mr. Costenza, der dort draußen mit seinem Scheckbuch gewedelt hat, und die Damen, die mit farblich auf ihren Mantel abgestimmten Hündchen hier hereinkommen.«
Ich war fasziniert. Dies war eine ganz andere Welt.
»Mary bespricht praktisch alle neuen Ausstellungen, und Sie können mir glauben, dabei wirft sie nicht nur mit Lob um sich.«
»Aber meistens schon«, sagte Wireman.
»Klar, weil die meisten Ausstellungen gut sind. Sie gesteht ein, dass sie sehr selten Großartiges zu sehen bekommt, weil Touristengebiete das in der Regel nicht hervorbringen, aber Gutes? Ja. Sachen, die jeder bei sich aufhängen, dann darauf zeigen und ohne die geringste Verlegenheit sagen kann: ›Das hab ich aus dem Urlaub mitgebracht.‹«
Ich fand, dass Nannuzzi damit eine perfekte Definition von Mittelmäßigkeit geliefert hatte - dieses Prinzip kannte ich aus Hunderten von Architekturzeichnungen -, aber ich hielt weiter den Mund.
»Mary ist wie wir an neuen Künstlern interessiert. Irgendwann könnte es in Ihrem Interesse liegen, sich mal mit ihr zusammenzusetzen. Sagen wir, bevor Sie Ihre Arbeiten irgendwo ausstellen.«
»Wärst du an einer solchen Ausstellung hier in der Scoto interessiert?«, fragte mich Wireman.
Meine Lippen waren trocken. Ich versuchte, sie mit der Zungenspitze anzufeuchten, aber auch die war trocken. Also nahm ich einen Schluck Wasser und sagte dann: »Das hieße, das Pferd beim Tanz aufzuräumen.« Ich machte eine Pause. Ließ mir Zeit. Nahm noch einen Schluck Wasser. »Sorry. Das Pferd beim Schwanz aufzuzäumen. Ich bin gekommen, um zu erfahren, was Sie denken, Signor Nannuzzi. Sie sind der Experte.«
Er löste die vor seiner Weste gefalteten Hände voneinander und beugte sich nach vorn. Das Quietschen seines Stuhls in dem kleinen Raum erschien mir sehr laut. Aber er lächelte, und dieses Lächeln war warm. Es ließ seinen Blick leuchten, machte ihn unwiderstehlich. Ich verstand, weshalb er so erfolgreich war, wenn es ums Bilder-Verkaufen ging, aber ich glaube nicht, dass er in diesem Augenblick etwas verkaufte.
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