Wahn - Duma Key
geblieben.
»Was?«, fragte ich.
»Sind die hier neu? Sie müssen neu sein.«
»Jau.« Nannuzzi von der Scoto wollte ein halbes Dutzend Bilder sehen, nicht mehr als zehn, deshalb hatte ich den Mittelwert gebildet und acht ausgesucht. Darunter die vier, die Wireman gestern Nachmittag so beeindruckt hatten. »Wie findest du sie?«
»Alter, die sind überwältigend! «
An seiner Aufrichtigkeit war kaum zu zweifeln; er hatte noch nie Alter zu mir gesagt. Ich stieg einige Stufen höher, dann stieß ich mit dem Ende meiner Krücke seinen bejeansten Hintern an. »Platz da!«
Er trat zur Seite und zog die Sackkarre weg, damit ich das Little Pink betreten konnte. Dabei starrte er noch immer die Gemälde an.
»Jack, ist dieser Kerl in der Scoto wirklich okay? Weißt du das?«
»Meine Mutter sagt, er ist es, und das reicht mir.« Was, wie ich vermute, so viel hieß wie: Also sollte es auch dir reichen. Das musste es wohl, dachte ich. »Von den anderen Partnern - ich glaube, es sind noch zwei - hat sie mir nichts erzählt, aber sie sagt, Mr. Nannuzzi ist okay.«
Jack hatte für mich eine Gefälligkeit eingefordert. Ich war gerührt.
»Und wenn ihm die hier nicht gefallen«, schloss Jack, »ist er plemplem.«
»Das findest du, was?«
Er nickte.
Von unten rief Wireman fröhlich: »Klopf-klopf! Ich komme wegen der Exkursion. Findet sie noch statt? Wer hat mein Namensschild? Hätte ich ein Lunchpaket mitbringen sollen?«
VI Ich hatte mir einen hageren, professoralen Mann mit Glatze und lodernden braunen Augen vorgestellt - einen italienischen Ben Kingsley -, aber Dario Nannuzzi erwies sich als Mitte vierzig, rundlich, höflich und Besitzer einer wallenden Mähne. Mit den Augen behielt ich jedoch recht. Denen entging nichts. Ich sah, wie sie sich einmal weiteten - nur wenig, aber erkennbar -, als Wireman vorsichtig das letzte mitgebrachte Gemälde auspackte: Aus Muscheln wachsen Rosen. Die Bilder standen an der Rückwand der Galerie aufgereiht, die im Augenblick hauptsächlich Fotos von Stephanie Shachat und Ölbilder von William Berra ausstellte. Besseres Zeug, als ich in einem Jahrhundert produzieren konnte, fand ich.
Andererseits hatten seine Augen sich kurz geweitet.
Nannuzzi schritt die Reihe vom ersten bis zum letzten Bild ab, dann fing er noch mal von vorn an. Ich hatte keine Ahnung, ob das gut oder schlecht war. Die schmutzige Wahrheit war, dass ich bis zu diesem Tag noch niemals eine Galerie betreten hatte. Ich drehte mich um und wollte Wireman fragen, was er dachte, aber Wireman unterhielt sich leise mit Jack, während beide zusahen, wie Nannuzzi meine Bilder begutachtete.
Sie waren auch nicht die Einzigen, wie ich jetzt bemerkte. Ende Januar herrscht Hochbetrieb in den teuren Geschäften an der Westküste Floridas. In der ziemlich großen Scoto Gallery hielten sich ungefähr ein Dutzend Gaffer auf (Nannuzzi gebrauchte später den weit vornehmeren Ausdruck »potenzielle Kunden«) und besichtigten die Shachat-Dahlien, William Berras farbenprächtige, aber touristisch angehauchte Ölgemälde aus Europa und ein paar aufsehenerregende, fiebrig fröhliche Skulpturen, die ich in meinem Drang, die eigenen Sachen auspacken zu lassen, bisher übersehen hatte - von einem Kerl namens David Gerstein.
Anfangs dachte ich, es seien die Skulpturen - Jazzmusiker, verrückte Schwimmer, hektische Stadtszenen -, die diese nachmittägliche Laufkundschaft anzogen. Und manche sahen sie sich flüchtig an, aber die meisten taten nicht einmal das. Sie hatten nur Augen für meine Bilder.
Ein Mann mit einem in Florida als Michigan-Bräune bekannten Teint - der entweder kalkweiß oder von der Sonne knallrot sein kann - tippte mir mit seiner freien Hand auf die Schulter. Die andere hielt mit seiner Frau Händchen. »Wissen Sie, wer der Künstler ist?«, fragte er.
»Ich«, murmelte ich und spürte, wie mein Gesicht zu glühen begann. Als hätte ich gestanden, die ganze letzte Woche damit verbracht zu haben, Bilder von Lindsay Lohan herunterzuladen.
»Gut für Sie«, sagte seine Frau herzlich. »Werden Sie hier ausstellen?«
Jetzt sahen sie mich alle an. Ungefähr so, wie man eine neue Art Pufferfisch betrachtet, der das Sushi du jour sein kann oder auch nicht. Jedenfalls kam ich mir so vor.
»Ich weiß nicht, ob ich abstellen werde. Ausstellen.« Ich konnte spüren, dass sich in meinen Wangen noch mehr Blut ansammelte. Schamblut, was schlimm war. Zornblut, was schlimmer war. Wenn meine Wut ausbrach, würde
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