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Wahn

Wahn

Titel: Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christof Kessler
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den Animateuren ein Musical aufgeführt wurde. Die Kinder waren mit ihrer Kindergruppe bei der Aufführung und würden erst in einer Stunde mit Nachdruck Aufmerksamkeit einfordern.
    »Wir haben darüber geredet, wie es mit uns vieren weitergehen soll«, sagte Henrik, indem er den Plastikbecher mit Gin Tonic in seiner Hand drehte. »Also, in den letzten Wochen und Monaten scheint sich herauskristallisiert zu haben, dass wir durchaus unsere Konstellation ändern könnten. Ich bin der Meinung«, sagte er plötzlich entschlossen, »dass Gudrun und ich, und Susanne und du«, dabei schaute er auf Robert, »perfekt zusammenpassen. Und das nicht nur sexuell, sondern auch auf geistiger Ebene.«
    »Deshalb«, sprang ihm Gudrun bei, »schlagen wir vor, Nägel mit Köpfen zu machen. Wir machen den Tausch perfekt, Henrik zieht zu mir, und Robert zieht zu Susanne.« »Und die Kinder?«, stotterte Robert verblüfft.
    »Der neue Vater übernimmt die Kinder als seine eigenen, und Schluss damit«, sagte Susanne, und plötzlich merkte Robert, dass zwischen den anderen dreien bereits alles festgelegt war und er gar keinen Einfluss mehr hatte.
    Noch im Herbst war es dann schon so weit, sie unterschrieben sogar eine Vereinbarung, die bei einem erstaunt dreinblickenden Notar hinterlegt wurde. Robert bekundete, dass er zu Susanne ziehen wollte, ferner, dass er sich von Gudrun scheiden lassen würde und Susannes und Henriks Kinder als seine eigenen annehmen würde. Außerdem verzichtete er zunächst auf jeden Umgang mit seinen eigenen Kindern, um ihnen Gelegenheit zu geben, sich an den neuen Vater zu gewöhnen. Umgekehrt das Gleiche, Henrik zog zu Gudrun und gab seine eigenen Kinder auf.
    Am ersten November war Robert mit seinem persönlichen Besitz bei Susanne eingezogen und hatte seine Hemden, Hosen, Bücher, CDs und Ordner in die Lücken einsortiert, die Henrik hinterlassen hatte. Von seinen Kindern hatte er sich nicht verabschiedet, weil Gudrun ihnen den Schmerz ersparen wollte. Auch hatten sie verabredet, sich vorläufig nicht mehr zu treffen, um Unruhe in den neuen Paarbeziehungen zu vermeiden – so argumentierten Henrik und Gudrun. »Funkstille für mindestens zwei Monate«, sagte seine Noch-Ehefrau Gudrun anlässlich ihres letzten Treffens zu viert beinahe triumphierend. »Was habe ich ihr eigentlich angetan«, fragte sich Robert, »dass ich so abrupt entsorgt werde?« Susannes Haus wollte ihm nicht vertraut werden, die Kinder fragten ständig nach »Papa« und nörgelten viel, Susanne schien den ganzen Tag genervt. Dass er sonntags die Sportschau sehen wollte, fand sie bescheuert, »wie kann man sich nur so ein geistloses Spiel anschauen?«, fragte sie mehr als einmal. Hinzu kam, dass er, immer wenn er mit Susannes und Henriks Kindern am Tisch saß, sich fragen musste, wie es wohl seinen eigenen Kindern erging, ob sie eine ebenso große Sehnsucht nach ihrem leiblichen Vater hätten. Die Nächte jedoch waren schön; wie um beweisen zu wollen, dass die Entscheidung des Partnertauschs richtig war, legte sich Susanne auf erotischem Gebiet mächtig ins Zeug. Ein-, zweimal versuchte er, mit Gudrun zu reden. Als er sie das erste Mal anrief, sagte sie streng: »Du weißt, dass es gegen die notarielle Vereinbarung ist.« »Ich will nur wissen, wie es unseren Kindern geht.« Die Antwort: »Warum interessierst du dich dafür? Du hast jetzt neue Kinder!«, irritierte ihn völlig. Seine Kinder waren und blieben doch seine Kinder, auf was hatte er sich da nur eingelassen? Auch Susanne schien fest entschlossen, die Sache durchzuziehen. »Ich weiß, Sex ist nicht alles, aber im Bett bist du nicht halb so langweilig wie Henrik. Die Kinder werden mit dem Zustand schon zurechtkommen, mach dir da keine Sorgen. Kinder sind Überlebenskünstler.« Er fing an, mehr Sport zu treiben und blieb länger in der Firma. Wie eine dunkle Wolke lag die Sehnsucht nach seinem alten Leben über ihm, auch während des Laufes, bei dem er den Schlaganfall erlitt, war er erfüllt von einer abgrundtiefen Melancholie.
    Zwei Tage nach seiner Einlieferung ins Klinikum wurde Robert zum ersten Mal von Susanne auf der Stroke Unit besucht. Er lag apathisch im Bett, sein linker Arm war mit einem blauen Band fixiert, damit er sich seine Sonden und Kanülen nicht herausriss. Der rechte Arm lag schlaff auf der Unterlage. Robert versuchte zu lächeln und schaute Susanne mit großen Augen an. »Hallo Robert, kannst du mich hören? Ich bin es, Susanne.« Seinem Mund entwich ein »Oh,

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