Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Schranke liegenbleibt. Nicht selten aber ist dann in der nächsten Saison dieser Gegenstand der "allermodernste". Im Vergleich hiermit ist das Tätowieren kein so abscheulicher Gebrauch, wie man gewöhnlich annimmt. Er ist schon deswegen nicht barbarisch, weil die Farben hauttief eingetragen werden und unveränderlich sind.
Ich kann nicht glauben, daß unsere Großindustrie die beste Quelle für den Ankauf von Kleidungsstücken ist. Die Lage der Fabrikarbeiter wird jeden Tag derjenigen der englischen Arbeiter ähnlicher. Darüber braucht man sich nicht zu wundern, denn nach allem, was ich gehört und gesehen habe, ist nicht die Herstellung einer guten und sittsamen Kleidung für den Menschen, sondern die Bereicherung der Trust-Kompagnien die Hauptsache. Im Laufe der Zeit treffen die Menschen nur das, wonach sie zielen. Darum täten sie besser, auch wenn sie jetzt fehl schießen, ihr Ziel möglichst hoch zu stecken.
Allerdings kann ich nicht bestreiten, daß ein Obdach heutzutage ein Lebensbedürfnis geworden ist, obwohl ich auch Beispiele dafür anführen könnte, daß Menschen in einem kälteren Lande als dem unsern sich ohne solches fortbeholfen haben. Samuel Laing berichtet: "Der Lappländer schläft in seinem Gewand aus Fellen und in seinem Sack aus Fellen, den er über Kopf und Schultern zieht, jede Nacht auf dem Schnee, selbst bei Kältegraden, die einen anderen Menschen, auch wenn er in Wolle gekleidet wäre, unfehlbar töten würden." Er sah sie mit eigenen Augen, wie sie, so gebettet, schliefen. Dann aber fügt er hinzu: "Sie sind nicht abgehärteter als andere Menschen." Wahrscheinlich aber erkannte der Mensch schon nach einer kleinen Weile seines Erdenwallens die Bequemlichkeit, die ein Haus bietet – "die häusliche Gemütlichkeit". Dieser Ausdruck wird wohl ursprünglich mehr das Wohlgefallen am Hause als an der Familie bezeichnet haben. Und selbst dieses Wohlgefallen kann nur ein temporäres und begrenztes sein in jenen Klimaten, wo der Gedanke an das Haus hauptsächlich durch die Winter- und Regenzeit in uns erweckt wird, und wo es zwei Drittel des Jahres lang eigentlich nur den Sonnenschirm zu vertreten hat. In unserem Klima, zumal im Sommer, diente das Haus früher fast nur als Decke während derNacht. In der Hieroglyphenschrift der Indianer bedeutete ein Wigwam das Symbol eines Tagemarsches und eine Reihe derselben, in die Rinde eines Baumes geschnitten oder darauf gemalt, die Anzahl der Nachtlager. Der Mensch ward nicht so breitgliedrig und starkknochig geschaffen, daß er nicht danach trachten müßte, seine Welt einzuengen und einen ihm passenden Raum zu ummauern. Anfangs lebte er nackt unter freiem Himmel. Das war ganz angenehm bei heiterem, warmem Wetter und im Tageslicht. Doch die Regenzeit und der Winter – um von der glühenden Sonne gar nicht zu reden – würden sein Geschlecht gar bald im Keime zerstört haben, wenn er sich nicht schleunigst mit dem Schutz eines Hauses umgeben hätte. Es wird erzählt, daß Adam und Eva mit Blättern sich bedeckten, bevor sie noch andere Kleider trugen. Der Mensch wünschte sich ein Heim, einen warmen oder gemütlichen Platz, wo er zunächst seinen Körper, dann aber auch seine Stimmungen wärmen konnte.
Wir können uns leicht jene Zeit vorstellen, wo das Menschengeschlecht noch in den Kinderschuhen steckte, und wo irgend ein kühner Sterblicher in eine Felsenhöhle kroch, um einen Unterschlupf zu finden. Ein Kind beginnt die Welt bis zu einem gewissen Grade wieder von vorn und ist mit Vorliebe selbst bei Nässe und Kälte im Freien. Es folgt seinem Instinkt, wenn es "Haus" und "Pferd" spielt. Wer hat vergessen, mit welchem Interesse er in seiner Jugend einen überhängenden Felsen oder irgend etwas, was einer Höhle glich, betrachtete? Ein Teil jenes instinktiven Verlangens unserer ältesten Ahnen war noch in uns lebendig. Von der Höhle gelangten wir zu Dächern aus Palmblättern, aus Rinde und Zweigen, aus fest gewobener Leinwand, aus Gras und Stroh, Brettern und Schindeln, aus Steinen und Ziegeln. Schließlich wissen wir überhaupt nicht mehr was ein Freiluftleben ist, und unser Leben ist ein häusliches in mehr Beziehungen als wir glauben. Vom Herd zum Feld ist ein weiter Weg. Es wäre recht angebracht, wenn wir häufiger den Tag und die Nacht ohne Scheidewand zwischen uns und den Himmelskörpern verlebten, wenn der Dichter nicht so viel unter Dach und Fach dichten, wenn der Heilige dort nicht so lange hausen würde.Vögel singen
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