Waldesruh
Nicht nur ihr Körper war erschöpft, jetzt, wo die Anspannung von ihr abfiel, verlangte auch ihr Geist nach Ruhe. Sie wollte nur noch schlafen und gleichzeitig wünschte sie sich zurück in ihr geregeltes Leben. Ohne Einbrecher, Entführer, Polizei und Tote. Ohne Lügen und Geheimnisse.
Am Abend wurde ein riesiger Hundekorb aus Frau Kramps Kleinwagen geladen. »Damit er sich nicht aufs Sofa legt«, erklärte sein Frauchen. Sie schien ihre Vorräte geplündert zu haben, Emily und Marie halfen ihr, zwei Körbe mit Lebensmitteln ins Auto zu tragen.
»Danke, dass Sie das für uns tun«, sagte Janna.
»Das mache ich sehr gerne«, antwortete Frau Kramp und es klang aufrichtig.
Moritz hatte zur Begrüßung mit Ringo im Garten Stöckchen geworfen, aber bald wurde das dem Hund zu langweilig und er folgte den Menschen ins Haus. Nach Hundeart schnüffelte er jeden Quadratzentimeter Boden ab, nachdem ihn Frau Kramp erst einmal aus der Küche gescheucht hatte. Aufgeregt vibrierend glitt seine Nase über den Teppich, der vor dem Bücherregal im Wohnzimmer lag. Er begann zu scharren. Marie und Emily sahen sich entsetzt an.
Zum Glück war Frau Kramp gerade zusammen mit Janna beschäftigt, die Lebensmittel zu verräumen.
»Heiliger Bimbam, wann ist denn der Kühlschrank zum letzten Mal geputzt worden?«, hörten sie sie entsetzt rufen. »Da drin existiert ja bereits intelligentes Leben!«
Janna murmelte etwas von wegen, man hätte in der letzten Zeit andere Sorgen gehabt, während Marie und Emily vergeb lich versuchten, den Hund vom Teppich wegzuzerren. Der hatte
sein Scharren nun intensiviert.
»Pfui, Ringo!«, zischte Marie. »Lass das!«
Die Worte beeindruckten das Tier genauso wenig wie das Gezerre an seinem Halsband.
»Zeig ihm doch, was darunter ist, dann gibt er vielleicht Ruhe«, meinte Emily. Marie schlug den Teppich um. Ringo schnüffelte erneut fieberhaft, aber immerhin hörte er auf zu kratzen. Stattdessen begann er, die Dielen abzulecken.
»Hör auf, Ringo! Du bist doch kein Vampir?«, flüsterte Emily.
»Ringo, was machst du denn da?«, erkundigte sich Frau Kramp, die gerade aus der Küche kam. Da der Hund nicht antwortete, trat sie näher an das Geschehen heran. »Was ist denn das für ein Fleck?«
»Fleck? Ach, der Fleck. Da hat Moritz mal Kirschkompott verschüttet«, erklärte Marie.
»Stimmt doch gar nicht«, ließ sich dieser vernehmen.
»Da warst du noch klein, das weißt du nicht mehr.«
Frau Kramp lächelte. »Ringo liebt Kirschkompott«, sagte sie, dann schickte sie den Hund energisch in seinen Korb, den sie neben den Kamin gestellt hatten. Widerstrebend gehorchte das Tier. Rasch legte Marie den Teppich wieder über den Fleck.
»Dieser Hund ist unmöglich«, stellte Frau Kramp fest und fragte die Anwesenden: »Wollt ihr mir beim Kochen helfen?«
Von Wollen konnte zwar keine Rede sein, aber natürlich folgten sie der Lehrerin in die Küche. Moritz legte sogar eine gewisse Begeisterung an den Tag, er schien Frau Kramp ins Herz geschlossen zu haben.
Sie bereiteten einen Auflauf aus Gemüse und Hackfleisch zu und während des Kochens berichtete Moritz von seinem Abenteuer: Offenbar hatten ihn die Entführer in einem Wochenend häuschen an einem See untergebracht. Jedenfalls interpretierten sie so seine Schilderung. »Da waren Segelboote und ganz viel Gras, das aus dem Wasser gewachsen ist.«
»Schilf«, korrigierte Frau Kramp.
»Ja, so Schilf. Da waren Enten drin. Und das Haus war ganz klein und ohne Mauern, nur so Bretter, aber da war ein Fernseher, aber nur ein ganz kleiner«, erzählte Moritz.
»Hast du denn keine Angst gehabt?«, fragte Emily.
Moritz zog einen Flunsch. »Zuerst, in dem Auto, schon ganz schön«, gestand er. »Aber in dem Haus nicht mehr. Einer hat immer auf mich aufgepasst, damit ich nicht abhaue. Und der hat gesagt, dass sie mir nichts tun werden, wenn ich brav bin. Der andere hat gesagt, wenn ich weglaufe, dann erschießen sie mich. Aber der ist dann zu McDonald’s gefahren, weil ich Hunger gehabt habe. Ich habe zwei Big Macs gegessen und ganz viel Pommes mit Mayo. Dann ist mir schlecht geworden und ich habe auf das Sofa gekotzt.« Die Erinnerung daran ließ Moritz fröhlich grinsen.
»Die Kerle können einem fast leidtun«, meinte Janna.
Als das Essen auf den Tisch kam, merkten alle, was für einen großen Hunger sie hatten. Für den enttäuschten Ringo blieb nichts übrig.
Beim Abräumen des Tisches nahm Frau Kramp Janna beiseite, aber Emily hörte noch, wie
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