Waldesruh
werden.«
»Nicht unbedingt«, sagte Marie.
»Und auch kein Wort zu Frau Kramp!«
»Natürlich nicht. Aber das mit Oma musste ich sagen...«
»Schon gut.« Janna ließ die beiden wieder los.
»Es tut mir leid, dass noch Farbe an dem Bild war«, sagte Emily zerknirscht. »Ölfarbe braucht ewig, bis sie ganz durchgetrocknet ist. Aber ich finde, du warst supercool, Janna... Janna?«
Janna antwortete nicht, ihre Pupillen wanderten zur Seite, ihre Knie gaben nach und schon lag sie rücklings im Staub.
»So viel zu meiner supercoolen Schwester«, sagte Marie trocken, während Emily nach dem Notarzt rief.
Janna kam nach zwei Minuten wieder zu sich, dennoch sollten alle in eine Klinik gebracht werden. Axel durfte nach einigem Hin und Her zur Arbeit gehen, aber Frau Kramp bestand darauf, sie zu begleiten, und kümmerte sich im Krankenhaus um den Papierkram.
Der junge Assistenzarzt, der Emily und Marie untersuchte, konnte keinerlei gesundheitliche Defizite feststellen. Auch Moritz hatte die Sache ohne körperliche Schäden überstanden. Er wurde zusätzlich von einer Psychologin vom Sozialamt betreut, die aber ebenfalls meinte, er sei »erstaunlich robust«.
Natürlich müsse man ihn während der nächsten Zeit beobachten, riet die Frau, manchmal würde es eine Weile dauern, bis sich die Folgen solcher Erlebnisse zeigten. Alle diese Prozeduren zogen sich bis zum Mittag hin. Axel hatte sich unterwegs absetzen lassen. »Ich muss nicht ins Krankenhaus, was soll ich da?«
Hauptkommissar Lubig hatte entschieden, dass die Vernehmung der Kinder auf den nächsten Tag verschoben werden sollte. Er würde sich heute lieber ausgiebig den beiden Entführern widmen, erklärte er. Frau Kramp konnte dem Beamten zum Glück ausreden, ihnen eine Fürsorgerin vom Jugendamt an die Seite zu stellen. »Ich werde mich um die Kinder kümmern, bis eine Lösung gefunden worden ist. Immerhin kennen sie mich und ich bin schließlich Pädagogin«, warf sie ihre Trümpfe in die Waagschale.
»Meinetwegen«, kapitulierte der Polizist vor der Entschlossenheit dieser Person. »Dann bis morgen um zehn Uhr im Präsidium. Ich rufe Ihnen einen Streifenwagen, der Sie alle nach Hause bringt.«
»Scheiße, was ist denn hier los?«, rief Janna, als das Bahnwärterhäuschen in Sicht kam.
»Tja, sieht aus, als hätte die Presse Wind bekommen«, sagte einer der beiden Polizisten, der den blau-weißen Transporter steuerte. Moritz konnte sein Glück noch gar nicht fassen, dass er in einem echten Polizeiauto nach Hause gebracht wurde.
»Janna, das ist deine Chance, du wolltest doch immer ins Fernsehen«, sagte Marie.
»Aber doch nicht so, wie ich jetzt aussehe! Total dreckig und ohne Make-up!«
»Fürs Dschungelcamp reicht es«, bemerkte Marie boshaft.
Ein knappes Dutzend Reporter und zwei Kamerateams von RTL und vom NDR hatten vor dem Gartentor Aufstellung genommen. Kaum waren sie ausgestiegen, prasselten Fragen auf sie nieder.
»Worum ging es bei der Entführung?«
»Wer genau ist entführt worden, nur der Junge?«
»Wie kam es dazu, was wollten die Entführer?«
Ein Fotograf ging vor Moritz in die Knie und knipste wild drauflos. Eine Frau hielt dem Kleinen ein wuscheliges Mikrofon hin und fragte, wie alt er sei und wie es ihm ginge. Moritz war die Sache nicht geheuer, er hielt Jannas Hand fest gepackt und sah abwechselnd zu ihr und zu Frau Kramp.
Die beiden Ordnungshüter wiesen die Reporter in barschem Ton an, die Bewohner durchzulassen. »Wenden Sie sich an den Pressesprecher der Polizei!«, riet der eine.
Aber damit waren die Medienvertreter nicht zufrieden, es hagelte weiterhin Fragen und die Kameras klickten ununterbrochen.
»Geht ihr ins Haus, ich bleibe draußen und rede mit denen«, ordnete Frau Kramp an.
Die beiden Polizisten begleiteten die Mädchen und Moritz bis zur Tür. »Am besten, ihr bleibt heute da drin und zieht den Telefonstecker«, riet ihnen der ältere, ehe sie sich verabschiedeten.
Draußen stand Maja Kramp der Reporterschar Rede und Antwort, und als Janna gekämmt und hastig geschminkt und umgezogen aus der Tür stürzte, rückte das letzte Team vom NDR gerade ab und Janna fluchte wie ein alter Seemann.
Am späten Nachmittag fuhr auch Frau Kramp zurück in den Ort, um ein paar Dinge zu erledigen und ihre Sachen zu holen. »Heute Abend komme ich wieder und bringe etwas zum Kochen mit. Am besten ruht ihr euch jetzt etwas aus.«
Ein guter Rat. Emily hatte das Gefühl, noch nie in ihrem Leben so müde gewesen zu sein.
Weitere Kostenlose Bücher