Waldesruh
Emily von einem der Polizisten gefragt. Netterweise hatte er seine Maske abgenommen.
»Danke, uns geht es gut«, antwortete Emily höflich. Das stimmte auch, wenn man mal davon absah, dass ihre Beine wackelten wie Götterspeise und sie kaum in der Lage war, die paar Worte hervorzubringen.
Von ferne waren Sirenen zu hören, die sich rasch näherten. Zwei Streifenwagen und ein ziviles Fahrzeug mit einem Blaulicht auf dem Dach fuhren in einer Staubwolke heran. Aus einem der Wagen stieg ihre Lehrerin Maja Kramp. Sie kam sofort auf sie zugestürzt.
»Ist jemand verletzt? Wie geht es Moritz?«
Emily sah sie verdutzt an. Frau Kramp? Was machte ihre Lehrerin hier?
»Keiner ist verletzt«, stammelte sie. »Wir...wir sind in Ordnung.«
»Gott sei Dank!« Frau Kramp lief mit schnellen Schritten zu Axel, der etwas abseits stand. »Von dir als jungem Erwachsenen hätte ich etwas mehr Verstand erwartet«, fauchte sie. Offenbar kannten sich die beiden, denn Axel nickte artig und sagte: »Tut mir leid, Frau Kramp. Aber man brauchte doch einen Fahrer.«
Emily war mittlerweile zu den Schwestern getreten. Ein älterer Herr in ziviler Kleidung näherte sich ihnen und stellte sich als Hauptkommissar Lubig von der Polizeidirektion Hannover vor.
Unwillkürlich nahm Emily Maries Hand und spürte dankbar, wie die Freundin sie drückte.
»Denkt ihr, ihr könnt mit aufs Präsidium und ein paar Aussagen machen?«, fragte der Kommissar.
»Auf keinen Fall«, mischte sich Frau Kramp wie eine Furie ein. »Die Kinder stehen unter Schock.«
»Der Notarzt ist unterwegs«, antwortete der Kommissar ruhig, und kaum hatte er die Worte ausgesprochen, hörte man auch schon das Martinshorn. Der Beamte wandte sich an Maja Kramp: »Darf ich fragen, wer Sie sind?«
»Ich bin ihre Lehrerin«, erwiderte sie. »Ich habe die Polizei verständigt.«
»Sie?«, staunte Janna. »Und woher wussten Sie davon?« Ein Seitenblick traf Emily, aber die wehrte sofort ab: »Von mir nicht!«
»Axel?!«
»Nee, nee . . .«, winkte auch der sofort ab.
»Ich war’s«, sagte Marie und senkte den Blick. »Ich bin gestern Nachmittag zu Frau Kramp gelaufen und habe ihr alles erzählt. Ich hatte einfach Angst um Moritz.«
Janna wollte etwas sagen, aber in dem Moment kam eine Frau, deren leuchtfarbene Weste die Aufschrift »Leitender Notarzt« trug, im Laufschritt auf sie zu, gefolgt von einem Kollegen. Die Ärztin wies auf Moritz. »Ist das der entführte Junge?«
»Ja«, krähte Moritz. »Die haben mich einfach aus dem Garten geklaut! Aber ich habe ganz lange fernsehen dürfen! Das war toll!«
»Darf ich dich drüben im Wagen mal untersuchen?«, fragte die Ärztin Moritz. Der sah Janna an, die nickte. »Geh nur mit. Du bist jetzt der Held des Tages, alles dreht sich um dich!«
Das gefiel Moritz, er ließ Jannas Hand los und begleitete die Ärztin zum Wagen. »Ihr kommt gleich an die Reihe!«, rief ihr Kollege den Mädchen zu.
»Nicht nötig, uns geht’s prächtig«, antwortete Janna und wandte sich an den Kommissar: »Wir können schon mit auf die Wache. Nur Moritz...«
»Moritz braucht eine psychologische Betreuung«, entschied Frau Kramp. »Und auch die anderen müssen untersucht werden.«
Hauptkommissar Lubig räusperte sich. »Ihr Engagement in Ehren, Frau Kramp, aber sollten wir nicht erst einmal die Erziehungsberechtigten der Kinder informieren?«
Ein Schweigen entstand. Frau Kramp legte dem Kommissar sanft eine Hand auf die Schulter und sagte: »Kann ich wohl mal ein paar Worte unter vier Augen mit Ihnen reden?«
Lubig war einverstanden und bat Frau Kramp zu seinem Wagen. Die Mädchen und Axel beobachteten, wie Frau Kramp gestenreich auf den Kommissar einredete. Der nickte ein paarmal und zwischendurch wandte er den Kopf und schaute mit einem Ausdruck der Verblüffung zu ihnen hinüber.
Janna winkte ihre Schwester und Emily zu sich heran und legte ihnen je einen Arm auf die Schulter. Sowie sie die Köpfe zusammengesteckt hatten, flüsterte Janna: »Marie, was hast du der Kramp erzählt?«
»Alles.«
»Alles!?«
»Na ja, fast alles. Das mit dem – du weißt schon – habe ich nicht erzählt«, sagte Marie mit einem Seitenblick auf Axel. Aber der war abgelenkt, er beobachtete fasziniert den Abzug der Leute vom SEK.
»Gut«, meinte Janna erleichtert. »Wenn es irgendwie geht, dann bleibt die Sache unter dem Teppich. Im wahrsten Sinn des Wortes. Es sei denn, du hast Lust, für die nächsten paar Jahre von Psychologen und Psychiatern traktiert zu
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