Waldesruh
einem Panamahut auf dem Kopf ging zielstrebig über den Platz auf sie zu.
Emilys Herz krampfte sich zusammen. Seitdem alles vorbei war, hatte sie jeden Tag an Lennart gedacht und tausend Mal überlegt, ob sie ihn anrufen sollte. Aber immer, wenn sie kurz davor war zu wählen, hatte der Mut sie verlassen. Was hätte sie auch sagen sollen? Wie sollte sie ihm das Ganze erklären? Und vor allem: Was würde er nur von ihr denken?
»Hey, Emily!«
Sie holte tief Luft. »Hey, Lennart!«, presste sie hervor. »Wieder da?«
»Seit gestern. Darf ich mich setzen?«
»Sicher!«
Aber ehe er das tat, küsste er sie ganz selbstverständlich auf die Wange. Emily merkte, wie sie rot anlief. Die Stelle brannte wie Feuer. Zum Glück hatte sie Jannas coole Sonnenbrille auf.
»Siehst klasse aus«, sagte Lennart.
»Danke.«
Auch er sah gut aus, verdammt gut sogar. Die leichte Bräune im Gesicht ließ die hellen Augen strahlen. Es folgte ein etwas verkrampfter Smalltalk, bis Lennart schließlich sagte: »Am Wochenende treten wir mit unserer Band auf. Also, das ist so ein Gig, bei dem mehrere Nachwuchsbands spielen dürfen, irgendein Radiosender ist auch da und nimmt auf. Und hinterher ist Riesenparty. Hast du Lust mitzukommen?«
Emilys Herz machte einen albernen Satz. »Ja, gern«, sagte sie und war bemüht, nicht allzu glückselig auszusehen. Es gelang nur schlecht. Aber dann kamen ihr Bedenken. »Wie lange geht denn die Party?«
»Och, wahrscheinlich bis in die Puppen.«
Emily seufzte. »Ich muss bestimmt um elf zu Hause sein.«
Jetzt bereut er sicher sein Angebot und würde lieber ein älteres Mädchen aus seiner Clique mitnehmen, dachte Emily. Vermutlich wagt er es nur nicht zu sagen, um mich nicht zu verletzen.
»Ein Uhr«, sagte Lennart.
»Was?«
»Das habe ich mit deinem Vater ausgehandelt.«
»Wie? Wann denn das?«, fragte Emily völlig verwirrt. Lennart kannte ihre Eltern doch gar nicht.
»Na, vorhin. Ich wollte dich besuchen, aber du warst nicht da. Bei dieser Gelegenheit habe ich mich deinen Eltern vorgestellt und gefragt, ob du mitkommen darfst, falls du möchtest. Sie haben mir anschließend sogar verraten, wo ich dich finde.«
Emily blieb für einen Moment der Mund offen stehen. »Und . . . und wie haben sie reagiert?« Das konnte ja heiter werden, wenn sie nachher nach Hause kam!
»Deine Mutter war sehr charmant, dein Vater anfangs etwas reserviert, wie Väter eben so sind. Aber ich habe beide mit meiner soliden Ausstrahlung und meinem tadellosen Benehmen rumkriegen können, du musst dir keine Sorgen machen.«
»Eingebildet bist du gar nicht, was?«
»Doch, ein bisschen schon«, gab er augenzwinkernd zu. »Aber nicht ohne Grund, oder?«
Emily lächelte, sah ihn durch die Gläser ihrer neuen Sonnenbrille an und dachte: Das ist mit Abstand der coolste Junge der Schule!
Lennart wandte sich ihr zu, griff nach der Sonnenbrille und legte sie auf den Tisch. »Jetzt kann ich dich besser sehen«, meinte er. Er blickte ihr in die Augen und sagte: »Und jetzt musst du mir alles erzählen, diese ganze irre Geschichte mit der Entführung und deinem falschen Picasso. Ich hab’s in der Zeitung gelesen, jeder spricht davon, das ist ja so was von abgefahren, Mann, ist das cool!«
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