Waldstadt
nichts zu fassen. Ruckartig riss es ihn nach hinten weg.
Er wollte seine Finger unter die Schlinge bohren, doch die schnitt sich bereits tief in den Hals. Weit offen sein Mund, kein Ton drang mehr heraus. Unbarmherzig zog es ihn rückwärts ins Unterholz. Er versuchte, Zweige zu greifen, vergeblich. Immer schneller zerrte es an ihm. Verzweifelt schlug er wild um sich, krallte in den Boden.
Die Luft blieb ihm weg. Seine Bewegungen erschlafften.
Noch eine Minute bebte der Schwarze und zog mit aller Kraft seiner muskulösen Arme an den kurzen Hölzchen, die er an den Enden des dünnen Stahlseils verknotet hatte. Bis er sich völlig sicher war.
Dann schleifte er sein Opfer weiter und ließ es im Dickicht fallen. Genau an der Stelle, die er sich seit Tagen dafür ausgesucht hatte. Kaum konnte er das Gesicht erkennen. Nur die Augen, die weit hervorgequollen waren. Er drehte Carsten Blees auf den Bauch.
Am ganzen Körper zitternd öffnete er die Schlinge. Auf seinem Pfad hastete er zurück zur Allee. Nirgends ein Licht! Er lehnte sich nochmals an den Baum und versuchte, ruhiger zu werden. Langsam konnte er wieder tiefer atmen.
Die Akkulampe am Fahrrad brannte noch. Nur das Schutzglas war zerbröselt. Der Schwarze schwang sich auf den Sattel. Allmählich wich sein Schaudern einem ungekannten Gefühl.
Es dauerte 48 Stunden, bis er vermisst wurde, und weitere drei heiße Sommertage, bis ein Cockerspaniel dem Geruch folgte.
Die Joggerin sah ihren dunkelblond gelockten Hund im Unterholz verschwinden, dachte an eine frische Wildspur und lief unbesorgt weiter. Nach 200 Metern blieb sie stehen, schaute zurück, machte unschlüssig einige Stretchingübungen, ärgerte sich und drehte um.
Sie rief, sie pfiff, ohne Erfolg.
Sie erkannte die Stelle wieder, an der ihr Begleiter abgebogen war. Ein schmaler Pfad, sie hielt ihn für einen Wildwechsel.
In einem besonders dichten Nest von Traubenkirschbüschen fand sie ihren Hund. Allerdings buddelte er nicht in einem Kaninchenloch und wälzte sich auch nicht in den Resten einer halbverwesenen Katze.
Sie sah Turnschuhe, Jeans, dann alles.
Der Mann, an den sich der Spaniel nicht näher als einen halben Meter herantraute, lag auf dem Bauch. Vorsichtig folgte die Joggerin dem Beispiel ihres Hundes und schlug einen Halbkreis, bis sie das Gesicht sehen konnte. Der Kopf war zur Seite gedreht, das dick aus seiner Höhle getretene Auge starrte matt ins Leere. Ein schmaler schwarzer Käfer krabbelte aus dem Gehörgang. Entsetzt wich sie zurück.
»Er ist erst im Frühjahr bei uns eingezogen, gut kannten wir ihn noch gar nicht«, bekam Oskar Lindt als Auskunft. »Elektrotechnik war sein Fach, seit dem Sommersemester. Kam aus einem Ort irgendwo im Saarland.«
Die beiden Mitbewohner der WG in Blankenloch öffneten den Kripobeamten das Zimmer von Carsten Blees.
»Moment noch«, stoppte Lindt die Spurensicherung. »Ich will mich erst mal umschauen, bevor ihr hier alles auf den Kopf stellt.« Wortlos reichte ihm einer der Techniker ein Paar Latexhandschuhe.
Zehn Minuten später zuckte der Kommissar resigniert die Schultern und überließ der SpuSi das Feld. Im Gehen zeigte er noch auf den Laptop, der auf dem Schreibtisch lag.
»Klar doch, nehmen wir gründlich unter die Lupe.«
Trotz des starken Verwesungsgeruchs, der von dem aufgeblähten Körper ausging, hatte sich der Chef der Karlsruher Mordkommission auch am Tatort ziemlich lange Zeit gelassen. Eine Schleifspur führte von der Stutenseer Allee bis zum Fundort der Leiche. Einige durchsichtige Brösel, Bruchstücke einer Fahrradlampe, wie sich später im Labor herausstellte, waren alles, was auf dem viel genutzten Waldweg gesichert werden konnte.
Ludwig Willms, Leiter der KTU, machte den Ermittlern wenig Hoffnung: »Wisst ihr, wie viele Radfahrer hier Tag und Nacht im Hardtwald unterwegs sind? Hunderte, ach was, Tausende! Da liegen doch alle zehn Meter irgendwelche Fahrradteile.«
Die Marke der LED-Leuchte war inzwischen bekannt, aber nur deshalb, weil Willms sich das gleiche, recht teure Modell vor Kurzem für sein eigenes Triathlonrad gekauft hatte.
Außer diesen Bruchstücken fand sich in der Umgebung des Toten rein gar nichts, was die Untersuchung hätte beschleunigen können.
Der Notarzt wies wortlos auf die dunkelrote, ringförmige Spur am Hals hin, hielt sich dabei aber die Hand vor den Mund und suchte schnell das Weite.
In der Heidelberger Rechtsmedizin wagten Oskar Lindt und sein langjähriger Partner
Weitere Kostenlose Bücher