Waldstadt
Garotte aus der Hosentasche. Zärtlich strich er über den Draht und begann im Dunkeln die verkrusteten Blut- und Hautreste seines Fast-Opfers abzupopeln. Er fühlte die fünf lackierten Ringe an den Hölzchen. Nein, lila musste noch warten. Nur Erfolge wurden verewigt.
Es konnte ihn niemand gesehen haben, darüber war er sich sicher. Zudem hatte er vorsichtshalber seine schwarze Sturmhaube übergezogen. Erst wollte er darauf verzichten, jetzt war er froh, dass er sein Gesicht doch verborgen hatte.
Auch sein Rückzugsweg war wieder peinlich genau geplant gewesen. Zwei Mal, als die Handwerker Feierabend machten, hatte er sich in den Garten gewagt und die Strecke entlang der leerstehenden Villa bis zum hinteren Ausgang eingeprägt. Auch den Pfad durch den lichten Wald bis zur Büchiger Allee, wo er sein Bike gut gesichert abgelegt hatte, war er mehrmals gegangen. Das Risiko, gesehen zu werden? Echt gering! Schade, dass ihm die Maske beim Aufsteigen aus der Hand gerutscht war, aber solche gab es ja in jedem Motorradshop.
Es zog und pochte in der Bisswunde und seltsam, auch seine Gesichtsnarbe spürte er aufs Mal. Das kam nur ganz selten vor, etwa dann, wenn er sich besonders anspannte. Trotzdem fiel er nach zwei Stunden in einen unruhigen Schlaf.
Ungefähr zur gleichen Zeit ließ bei einem Patienten im Städtischen Klinikum die Wirkung der Schmerz- und Beruhigungsmittel nach. Auch er wurde unruhig, begann zu stöhnen und sich herumzuwälzen. Die Schwester im Stationszimmer bemerkte es an den schnelleren Herz- und Atemfrequenzen auf dem Überwachungsmonitor. Am übernächsten Intensivplatz war eine Anästhesistin dabei, den Perfusor für die Morphingabe bei einem frisch operierten Krebspatienten neu einzustellen.
»Bett vier wird unruhig«, erhielt sie als Meldung.
»Neuer Tropf mit höherer Dosierung«, antwortete die Ärztin, ohne aufzuschauen.
Die neue Infusion wurde gerade angehängt, da schlug Tilmann Conradi plötzlich die Augen auf. Seine Hand griff nach dem Kittel der erschrockenen Schwester. Er öffnete den Mund, seine Lippen formten ein Wort, doch das leise heißere Krächzen war fast nicht zu verstehen. Sie beugte sich hinunter, doch der kleine Staatsanwalt sank schon wieder zurück ins Kissen.
Die Narkoseärztin schaute herüber. »Hat er was gesagt?«
»War kaum zu hören.« Zweifelnd beobachtete die Intensivschwester ihren Patienten. »Aber ich soll sofort anrufen, auch mitten in der Nacht.« Sie schloss für einen Moment die Augen. Ja, so hätte es heißen können. Vielleicht war es wichtig? Entschlossen wählte sie die Handynummer.
Schon nach dem zweiten Ton meldete sich Lindt. Seine Stimme klang überhaupt nicht verschlafen.
»Klinikum, Intensivpflege, Schwester Almut.«
»Ist er wach?«
»Nein, das nicht, aber …«
»Er hat was gesagt!«
»Ich konnte es nur ganz undeutlich verstehen.«
»Bitte!«
» Das , so hat es sich angehört, das und noch ein Wort.«
Lindt zögerte. Damit konnte er im Moment nichts anfangen, doch er entschied sich schnell.
»Ich komme, falls er noch mal …«
Bevor die Schwester widersprechen konnte, hatte er aufgelegt.
Sein Wecker zeigte kurz vor halb drei. Egal, er war jetzt hellwach und würde ohnehin nicht wieder einschlafen können.
Auch Carla hatte die Augen offen. »Ich fahr ins Klinikum. Conradi hat was gesagt.«
Sie nickte und drehte sich wieder um.
Ein junger Pfleger mit gegeltem Igelschnitt öffnete auf das Klingelzeichen des Kommissars. »Ziehen Sie bitte einen der Kittel dort über.«
Lindt suchte wieder den größten der Umhänge aus und zwängte sich hinein.
»Bitte, wenn Sie sich daneben setzen wollen.« Schwester Almut zeigte auf den Stuhl an Conradis Bett.
Er nickte und nahm Platz.
»Wir haben ihm allerdings noch etwas gegen die Schmerzen gegeben. Unsicher, ob er so schnell wieder wach wird.«
»Macht nichts, ich hätte jetzt sowieso keinen Schlaf mehr bekommen.«
Oskar Lindt drehte den Stuhl so, dass er das Gesicht des Staatsanwalts sehen konnte. Immer freundlich, niemals von oben herab, befehlend oder zynisch. Ein echt angenehmer Mensch. Sogar im Schlaf schien er sanft zu lächeln.
Auch die Gesichtszüge des Kommissars entspannten sich.
Fast zwei Stunden saß er nahezu unbeweglich da und beobachtete Conradi. Der Staatsanwalt – auch ein willkürliches Opfer? Langsam glaubte er nicht mehr an den Zufall, zumindest nicht bei Conradi.
Lindt gab sich alle Mühe, seine Gedanken kreisten, doch er fand keinen Ausweg, keine
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