Wallander 08 - Die Brandmauer
Schönheit. Sonst zählt nichts. Darum, wie man sich einen Freund angelt und sein Leben durch dessen Träume verwirklicht.«
»War das denn nicht immer so?«
»Nein. Sieh dir doch deine Tochter an. Hat sie nicht ihre eigenen Vorstellungen davon, was sie aus ihrem Leben machen will?«
Wallander wußte, daß sie recht hatte. Dennoch schüttelte er den Kopf. »Ich verstehe noch immer nicht, warum sie Lundberg überfallen haben.«
»Das solltest du aber. Wenn diese Mädchen langsam anfangen zu durchschauen, was passiert. Daß sie nicht nur nicht gebraucht werden, sondern sogar unerwünscht sind. Dann reagieren sie. Genau wie die Jungen. Unter anderem mit Gewalt.«
Wallander schwieg. Er verstand jetzt, was Ann-Britt Höglund sagen wollte.
»Ich glaube nicht, daß ich es besser erklären kann«, sagte sie. »Willst du nicht selbst mit ihr reden?«
»Martinsson meinte das auch.«
»Eigentlich bin ich wegen etwas ganz anderem gekommen. Ich brauche deine Hilfe.«
Wallander wartete auf die Fortsetzung.
»Ich habe versprochen, hier in Ystad in einer Frauenvereinigung einen Vortrag zu halten. Donnerstag abend. Aber ich merke, |31| daß ich es nicht schaffe. Ich kann mich nicht konzentrieren. Es passiert zuviel.«
Wallander wußte, daß sie mitten in einer aufreibenden Scheidung steckte. Ihr Mann war nie da, weil er als Monteur ständig durch die Welt reiste. So zog sich das Ganze noch zusätzlich in die Länge. Schon im Vorjahr hatte sie Wallander erzählt, daß ihre Ehe zu Ende ginge.
»Kannst du nicht Martinsson fragen?« sagte Wallander abwehrend. »Du weißt, daß ich keine Vorträge halten kann.«
»Du brauchst nur eine halbe Stunde zu reden«, sagte sie. »Darüber, wie es ist, Polizist zu sein. Dreißig Frauen. Sie werden dich lieben.«
Wallander schüttelte entschieden den Kopf. »Martinsson würde es liebend gern tun. Außerdem ist er in der Politik gewesen. Er ist daran gewöhnt zu reden.«
»Ich habe ihn gefragt. Er kann nicht.«
»Und Lisa Holgersson?«
»Das gleiche.«
»Was ist mit Hansson?«
»Der fängt nach ein paar Minuten an, über Pferde zu reden. Das geht nicht.«
Wallander wurde klar, daß er nicht ablehnen konnte. Er mußte ihr helfen. »Was ist das denn für eine Frauenvereinigung?«
»Es handelt sich um eine Art literarischen Studienzirkel, der sich zu einer Vereinigung ausgewachsen hat. Sie treffen sich seit mehr als zehn Jahren.«
»Und ich soll darüber sprechen, wie es ist, Polizist zu sein?«
»Sonst nichts. Und dann haben sie vielleicht ein paar Fragen.«
»Nicht daß ich Lust dazu hätte. Aber ich mache es, weil du es bist.«
Sie wirkte erleichtert und legte einen Zettel auf seinen Tisch. »Hier sind Name und Adresse der Kontaktperson.«
Wallander nahm den Zettel an sich. Die Adresse war die eines Hauses im Zentrum. Nicht weit entfernt von der Mariagata.
Sie stand auf. »Du kriegst kein Geld. Aber Kaffee und Kuchen.«
»Ich esse keinen Kuchen.«
»Auf jeden Fall ist es ganz im Sinne des Reichspolizeichefs, der |32| wünscht, daß wir uns gutstellen mit der Allgemeinheit. Und ständig neue Wege suchen, um über unsere Arbeit zu informieren.«
Wallander wollte sie fragen, wie es ihr ginge. Aber er ließ es. Wenn sie über ihre Probleme sprechen wollte, konnte sie selbst damit anfangen.
In der Tür wandte sie sich um. »Wolltest du nicht zu Stefan Fredmans Beerdigung?«
»Ich war da. Und es war genauso grauenhaft, wie zu erwarten war.«
»Wie ging es der Mutter? Ich weiß nicht mehr, wie sie hieß.«
»Anette. Ihr scheint wirklich nichts erspart zu bleiben. Aber ich glaube, sie sorgt gut für den Jungen, der ihr noch geblieben ist. Zumindest versucht sie es.«
»Wir werden ja sehen.«
»Wie meinst du das?«
»Wie heißt der Junge?«
»Jens.«
»Wir werden sehen, ob eine Person namens Jens Fredman in zehn Jahren in den Polizeiberichten auftaucht.«
Ann-Britt Höglund verließ das Zimmer. Der Kaffee war kalt geworden. Wallander holte neuen. Die jungen Kollegen waren verschwunden. Wallander ging den Flur hinunter zu Martinssons Zimmer. Die Tür stand sperrangelweit offen, aber der Raum war leer. Wallander kehrte in sein eigenes Zimmer zurück. Seine Kopfschmerzen waren nicht wiedergekommen. Ein paar Dohlen krächzten am Wasserturm. Er versuchte vergebens, sie zu zählen.
Das Telefon klingelte, und er nahm ab, ohne sich zu setzen. Es war die Buchhandlung. Das Buch, das er bestellt habe, sei gekommen. Wallander konnte sich nicht erinnern, ein Buch bestellt zu
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