Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)
Reitunfall gehabt. In Wirklichkeit hat sie während der letzten Auftritte die Krise gekriegt, Eßstörung, vor und nach den Auftritten kotzen, kaum mehr ansprechbar et cetera.) Auch Seema befinde sich längst wieder in Deutschland. (Ihr Vater sei in Bombay schwer erkrankt, Krebs, sie habe hinfliegen müssen, hatte es offiziell geheißen. Tatsächlich war Seema, die ja eigentlich Jennifer heißt, nach der letzten Tour nach Manchester zu ihren Eltern geflogen— beide putzmunter übrigens. Die „Postkarten“ mit den „Eindrücken von ‚meinem‘ Indien“, die auf die PingPongs -Homepage gestellt worden waren, inklusive Stadt und Landschaftsaufnahmen, waren in Wirklichkeit, soviel Costin weiß, von einer Mitarbeiterin der Agentur geschrieben worden.) Man plane schon. (Kein Wort davon, daß die PingPongs eigentlich nach dem Mißerfolg des zweiten Albums gedroppt worden sind. Vielleicht noch hier und da ein Charity-Auftritt – Dat wars dann aber auch.)
Costin hebt die Gabel und zieht die Käsefäden seiner Lasagne in die Länge. Interessant, daß das hier, beim Rigoletto , tatsächlich nach wie vor die beste Lasagne ist, die man weit und breit in Deutschland – und Costin war nun wirklich fast überall – bekommen kann. Er hätte ja gedacht, daß es vielleicht in Berlin oder dann in Italien eine Lasagne gibt, die zumindest genauso gut wie die Rigoletto -Lasagne ist. Aber ne. Pustekuchen. Costin hechelt, damit der heiße Käse in seinem Mund abkühlt.
Vor dem Eingang zum Rigoletto , nachdem Quirins Mittagspause fast um war und für Costin eigentlich schon fest stand, daß er ein Revival der Schul-Blutsbruderfreundschaft Costin-Quirin vergessen konnte, hat Costin plötzlich, und ohne daß er es sich vorher überlegt hätte, Quirin mit dem ausgestreckten linken Arm zurückgehalten, den Hals rekkend, nach links und rechts über den Chamer Marktplatz lugend, wo jetzt gerade der Bus nach Furth steht, Costin flüstert mit gerunzelter Stirn: „Vorsicht, Robin, die Gegend hier ist nicht geheuer. Irgendwo kann hier der Joker lauern.“ Quirin (flüsternd, erregt): „Was schlägst du vor, Batman?“ OK. Das heißt: Wie noch zu Schulzeiten, wo sie Szenen aus der 60er-Jahre-Batman-TV-Serie nachspielten, wird Costin Batman und Quirin Robin und damit, wenigstens einmal noch, für die nächsten Sekunden, ganz der alte sein.
Costin (nervös): „Schlage vor, wir suchen da drüben im Gebüsch Deckung.“
Quirin (laut): „Heiliger Strohsack. Meinst du denn, wir schaffen es bis dahin, Batman?“
Quirin (Faust in die Hand schlagend): „Wir müssen es versuchen, Robin. Die Zeit wird knapp.“
Quirin (Faust reckend): „Abgemacht. Ich folge dir, Batman. Aber laß uns vorsichtig sein.“
16
Costin liegt auf der rubinrot bezogenen Ottomane, mit der linken Hand hat er ab und zu eine Rebe hochgehalten, von der er dann eine supersüße Traube in den Mund baumeln läßt, plopp!, mit den Lippen pflückt. Er hat sich aufgerichtet, eine Bedienung herbeigewinkt und ihr den Blechkelch hingehalten. Die Toga der Bedienung wird an den Schultern von Spangen zusammengehalten, die Riemen ihrer Sandalen sind um die Schienbeine gewickelt. Sie nimmt den Krug von ihrer Schulter, obwohl sie Costin superlieb angeschaut hat, scheint sie ihn nicht erkannt zu haben. Von den Thermen am anderen Ende der Halle, wo ein dicker Bademeister am Beckenrand steht, leider auch in Toga, mit Lorbeerkranz auf dem Kopf, ist Gejohle und Platschen gekommen. Die Bedienung füllt Costins Becher bis zum Rand mit O-Saft-Sekt und geht wieder zurück zur Theke.
17
Er klingelt. Ana öffnet ihm. Er tritt ein, stammelt irgendwas, umarmt Ana und fängt zu weinen an. Die Tür ist hinter ihm mit einem Klick ins Schloß gefallen. Während er jetzt „Das ist alles so schrecklich“ schluchzt, hat er, glaubt er, Rotzbläschen in den Nasenlöchern gehabt, jedenfalls spürt er so was.
Ana hat ihn umarmt, Ana bebt, Ana weint.
In seine Schulter schluchzt sie: „Du kannst dir das ja nicht vorstellen, wie furchtbar das ist, jetzt allein im Ehebett, und ich war doch schon bevor der Tata gestorben ist immer so allein, als ob er schon da nicht mehr gelebt hätte, so oft bin ich da durchs Haus gegangen, die ganze Nacht, und immer wenn ich was gesehen habe, was mich an den Tata erinnert hat, also damals, als er noch gelebt hat, da habe ich das nicht ausgehalten. Ich habe das nicht ausgehalten. Die Bilder, die Sachen, die ihm gehören, die Anzüge im Schrank. Ich habe da nicht mehr
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