Wanderer im Universum
auf Wache stehen müsse, sondern friedlich schlafen könne.
Der Primuskocher wurde in Betrieb genommen. Als das Wasser heiß war, gab es Pulverkaffee. Das Abendessen bestand aus Kaffee, Milch und den Sandwiches aus dem Bus, die mit Erdnußbutter und Marmelade bestrichen waren.
Margo hatte sich eingebildet, dieses süßliche oder klebrige Zeug nicht essen zu können, stellte aber nach dem ersten Bissen fest, wie ausgehungert sie war, und aß vier Sandwiches, die sie mit einem Liter Milchkaffee hinunterspülte. Nach dem Essen lehnte sie sich zufrieden zurück und wandte sich an den Ladestock, um ihm eine Frage zu stellen, die sie schon lange beschäftigte. »Mister Fulby, ist es wahr, daß Sie mit Ida und Wanda verheiratet sind?«
Der Ladestock nickte und antwortete sofort: »Richtig, Miß Gelhorn. In unseren Augen sind sie beide meine Frauen, und ich bin für ihr Wohlergehen verantwortlich. Im großen und ganzen ist unser Verhältnis zueinander immer recht erfreulich gewesen. Ich habe Wanda ursprünglich des Aussehens wegen geheiratet – sie war früher Tänzerin in einer Revue – und Ida um des Verstandes willen. Daran hat sich inzwischen natürlich einiges geändert ...«
Der alte Busfahrer hatte die Unterhaltung verfolgt und wandte sich jetzt entrüstet ab.
Tigerishka hatte Miau eben zum drittenmal gefüttert und wandte sich jetzt Paul zu. Sie starrte ihn lange an, zuckte dann in bewußter Nachahmung einer menschlichen Geste mit den Schultern, schwebte davon und kam eine Minute später mit einem kleinen Kasten zurück, an dem zwei kurze Schläuche herabhingen. Dann betrachtete sie ihren Gefangenen nochmals nachdenklich, als sei sie nicht darüber im klaren, ob sie ihn durch den Mund oder durch eine Vene füttern sollte.
Pauls Kehle schmerzte jetzt vor Durst, was allerdings gut zu den übrigen Muskelschmerzen paßte, und er konnte nicht mehr klar denken, weil der Hunger alle anderen Überlegungen verdrängte. Im Augenblick beschäftigte er sich vor allem mit der Veränderung in Tigerishkas Auftreten, die ihn aufrichtig bekümmerte. Während Miau fraß, hatte Tigerishka einen seltsamen Tanz vorgeführt, der von leiser Musik aus dem Hintergrund und einem rhythmischen Pulsieren des künstlichen Sonnenlichts begleitet wurde.
Tigerishka war tatsächlich eine geborene Tänzerin, stellte Paul bewundernd fest. Ihre Vorführung hatte ihn so verzaubert, daß er für kurze Zeit sogar seine mißliche Lage und alle seine Sorgen vergessen hatte. Aber jetzt hatte die Ballerina sich wieder in ein hochmütiges, unnahbares Wesen verwandelt – eine bedauerliche Transformation.
Obwohl Paul heftigen Durst litt, schüttelte er jetzt traurig den Kopf und versuchte, seine gefühllosen Lippen zusammenzupressen. Dann zog er die Augenbrauen in die Höhe und verzog das Gesicht zu einer Grimasse, die bittend wirken sollte – und war sich gleichzeitig darüber im klaren wie sehr er in diesem Augenblick vermutlich einem gefesselten und geknebelten Affen glich, der freigelassen werden wollte.
Sie grinste ihn an, ohne dabei die Zähne zu zeigen – wieder eine Imitation einer menschlichen Ausdrucksweise, dachte Paul –, und starrte weiter auf ihn herab.
Paul wußte, daß es draußen unterdessen wieder dunkel geworden war, denn er befand sich seit über zwölf Stunden in der Untertasse. Die letzte Szene, die er hatte beobachten können, war unverkennbar gewesen – San Francisco bei Sonnenuntergang: Stadtteile von Bränden verwüstet, bevor schwere Regenfälle das Feuer gelöscht hatten, Hunderte von großen und kleinen Schiffen im Hafen, kaum Fahrzeuge auf den Straßen, aber überall aufgeregte Menschenmassen. Dann war die Untertasse schräg nach oben gestiegen, so daß Paul einen kurzen Blick auf den Wanderer werfen konnte, der im Osten über dem Horizont erschien. Der asymmetrische glitzernde Ring um den neuen Planeten hatte Paul zunächst verblüfft, bis ihm einfiel, daß es sich dabei vermutlich um die Überreste des zertrümmerten Mondes handelte.
Tigerishka streckte die Pfote aus, berührte damit sein rechtes Handgelenk und zog die Pfote wieder zurück. Paul stellte zu seiner Überraschung fest, daß er den rechten Arm jetzt unbehindert bewegen konnte. Er bewegte prüfend die Finger und beugte mehrmals den ganzen Arm; dann wollte er die Hand an die Lippen bringen, ließ sie aber plötzlich wieder sinken.
Wenn er nur mit den Fingern seinen Mund berührte, konnte sie aus dieser Geste schließen, daß er mit einem Schlauch
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