Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck
den ersten Schrecken, nachdem ich durchs Kasernentor gegangen war, nie überwunden, in sechs Jahren nicht, deshalb sprech ich nicht viel … bei euch ist das etwas anderes …« Ich errötete, denn noch nie im Leben hatte ich so viel gesprochen …
Hecker sah mich nachdenklich an. »So«, sagte er, »ich glaub, das ist schön, Schreiner.«
»Aber hast du nie ein Mädchen gehabt?« fing er plötzlich lauter an, und ich spürte schon, daß ich bald wieder Schluß machen mußte.
»Nie? Nie? Hast du nie deinen Kopf auf eine sanfte Schulter gelegt
und gerochen, ihr Haar gerochen … nie?« Diesmal schenkte er wieder ein, und die Flasche war leer mit diesen beiden letzten Schnäpsen. Hecker blickte mit einer schaurigen Trauer um sich. »Keine Wand hier, an der man die Pulle kaputtschlagen könnte, was?« – »Halt«, rief er plötzlich und lachte wild auf, »der Kamerad soll auch was haben, er soll sie kaputtschießen.«
Er trat einen Schritt vor und stellte die Flasche an jene Stelle, wo die
Geschosse des Scharfschützen einzuschlagen pflegten, und ehe ich es verhindern konnte, hatte er die nächste Flasche aus unserem Schrank genommen, sie geöffnet und eingeschenkt. Wir stießen an, und im gleichen Augenblick ertönte draußen auf der Böschung ein sanftes
»Pong«, wir blickten erschreckt hoch und sahen, daß die Flasche einen Augenblick nachher noch fest stand, fast starr, dann aber glitt ihr oberer Teil herab, während die untere Hälfte stehenblieb. Die große
Scherbe rollte in den Graben, fast bis vor unsere Füße, und ich weiß nur noch, daß ich Angst hatte, Angst von diesem Augenblick an, in dem die Flasche zerbrochen war …
Zugleich ergriff mich eine tiefe Gleichgültigkeit, während ich so schnell, wie Hecker eingoß, half, die zweite Flasche zu leeren. Ja, Angst und Gleichgültigkeit zugleich. Auch Hecker hatte Angst, ich sah es; wir blickten gequält aneinander vorbei, und an jenem Tage brachte ich nicht die Kraft auf, ihn zu unterbrechen, als er wieder von dem Mädchen anfing …
»Weißt du«, sagte er hastig, an mir vorbeiblickend, »sie wohnte am Ende einer Allee, und als ich zuletzt in Urlaub war, da war Herbst, richtiger Herbst, ein später Nachmittag, und ich kann dir gar nicht beschreiben, wie schön die Allee war--«, ein wildes, köstliches und doch irgendwie irres Glück tauchte in seinen Augen auf, und um dieses Glückes willen war ich froh, ihn nicht unterbrochen zu haben; er rang im Weitersprechen die Hände, wie jemand, der etwas formen will und weiß nicht wie, und ich spürte, daß er nach den richtigen Ausdrücken suchte, um mir die Allee zu beschreiben. Ich schenkte ein, wir tranken schnell aus, und ich schenkte wieder ein, und wir kippten die Gläser hinunter …
»Die Allee«, sagte er heiser, fast stammelnd, »die Allee war ganz golden, das ist kein Quatsch, du, sie war einfach golden, schwarze Bäume mit Gold, und graublaue Schimmer darin –-, ich war irrsinnig glücklich, während ich langsam in ihr hinabschritt bis zu jenem Haus, ich fühlte mich eingesponnen von dieser kostbaren Schönheit, und ich saugte die rauschhafte Vergänglichkeit unseres menschlichen Glückes in mich hinein. Verstehst du? Diese zauberhafte Gewißheit ergriff mich namenlos … und … und …«
Hecker schwieg eine Weile, während er wieder nach Worten zu suchen schien, ich goß die Gläser wieder voll, stieß mit ihm an, und wir tranken: in diesem Augenblick zerschellte auch der untere Teil der Flasche auf der Böschung, und mit einer aufreizenden Langsamkeit purzelten die Scherben eine nach der anderen in den Graben.
Ich erschrak, als Hecker plötzlich aufstand, sich bückte und die Decke ganz beiseite schob; ich hielt ihn am Rockärmel zurück, und nun wußte ich, warum ich die ganze Zeit über Angst gehabt hatte.
»Laß mich«, schrie er, »laß mich … ich geh, ich geh in die Allee …« Draußen stand ich neben ihm, die Flasche in meiner Hand. »Ich geh«,
flüsterte Hecker, »ich geh ganz hinein bis ans Ende, wo das Haus steht! Es ist ein braunes Eisengitter davor und sie wohnt oben und
…«Ich bückte mich erschreckt, denn ein Geschoß pfiff an mir vorbei in die Böschung, genau an die Stelle, wo die Flasche gestanden hatte.
Hecker flüsterte stammelnd sinnlose Worte, ein inniges, jetzt ganz sanftes Glück war auf seinen Zügen, und vielleicht wäre noch Zeit gewesen, ihn zurückzurufen, so wie er mir befohlen hatte. In seinen sinnlosen Worten erkannte ich nur immer die einen:
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