Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck
des Regens; ganz langsam schien sich die Erde, die oben auf der Zeltbahn lag, auch vollzusaugen, denn es tropfte jetzt auch leise von oben.
»Scheiße«, murmelte der Ältere. »Schläfst du jetzt?« – »Nein.«
Der Ältere spuckte den dritten Stummel hinter den Wall aus Erde und blies die Kerze aus. Gleichzeitig zog er seine Decke wieder hoch, trat sich unten mit den Füßen zurecht und legte sich aufseufzend zurück. Es war ganz still und ganz dunkel, und wieder nur dieses sinnlose Rascheln, wenn einer nicht schlafen kann, und das Rauschen des Regens, sehr milde.
»Willi ist verwundet«, sagte plötzlich die Stimme des Jüngeren, nachdem ein paar Minuten Stille gewesen war. Die Stimme war so wach wie nie, fast frisch.
»Wieso«, fragte der Ältere zurück.
»Ja, verwundet«, sagte die jüngere Stimme, fast triumphierend, sie war froh, daß sie eine wichtige Neuigkeit wußte, von der die ältere Stimme offenbar nichts wußte. »Beim Scheißen verwundet.«
»Du bist verrückt«, sagte der Ältere, dann seufzte er wieder und fuhr fort: »Das nenn ich Schwein, das nenn ich ein verdammtes Glück, gestern vom Urlaub gekommen und heute beim Scheißen verwundet. Schwer?« – »Nein«, sagte der Jüngere lachend, »das heißt: auch nicht leicht. Schußbruch, aber Arm.«
»Schußbruch am Arm! Vom Urlaub gekommen und beim Scheißen
verwundet, Schußbruch am Arm! Solch ein Schwein … wobei denn eigentlich?«
»Wie sie das Wasser geholt haben gestern abend«, sagte die jüngere Stimme, sie sprach jetzt sehr eifrig. »Wie sie das Wasser geholt haben, da sind sie hinten den Berg runter, mit den Kanistern, und der Willi hat zu dem Feldwebel Schubert gesagt: ›Ich muß scheißen, Herr Feldwebel!‹ – ›Nichts zu machen‹, hat der Feldwebel gesagt. Aber der Willi hat einfach nicht mehr gekonnt, er ist einfach weg und die Hose runter und bums! Granatwerfer. Und sie haben ihm die Hose richtig hochziehen müssen. Der linke Arm war verwundet, und mit dem rechten hat er den linken gehalten und ist so abgehauen zum Verbinden, die Hose runter. Die haben gelacht, alle haben gelacht, auch der Feldwebel Schubert hat gelacht.« Er fügte das letztere fast entschuldigend hinzu, als wolle er sein eigenes Lachen entschuldigen, denn er lachte jetzt …
Aber der Ältere lachte nicht.
»Licht«, fluchte er laut, »los, gib die Hölzer her, Licht!« Er ließ das Zündholz aufflammen und fluchte vor sich hin. »Ich will wenigstens Licht, wenn ich schon nicht verwundet werde. Wenigstens Licht, sie sollen wenigstens für Kerzen sorgen, wenn sie Krieg spielen wollen. Licht! Licht!« Er schrie wieder und zündete wieder eine Zigarette an.
Die jüngere Stimme hatte sich aufgerichtet und kramte mit dem Löffel in einer fettigen Büchse, die sie auf den Knien hielt. So hockten sie stumm nebeneinander in dem gelben Licht. Der Ältere rauchte heftig und der Jüngere sah jetzt schon ziemlich fettig aus: sein ganzes Kindergesicht war beschmiert, fast überall an den Rändern der verfilzten Haare klebten Brotkrümel. Dann fing der Jüngere an, mit einem Stück Brot die Fettbüchse auszukratzen.
Plötzlich wurde es ganz still: der Regen hatte aufgehört. Sie hielten beide inne und blickten sich an: der Ältere mit der Zigarette in der Hand und der Junge, der das Brot in den zitternden Fingern hielt. Es war unheimlich still, erst nach ein paar Atemzügen hörten sie, daß irgendwo noch aus der Zeltbahn Regen tropfte.
»Verdammt«, sagte der Ältere, »ob der Posten noch dasteht? Nichts zu hören.« Der Jüngere steckte das Brot in den Mund und warf die Blechbüchse neben sich ins Stroh.
»Ich weiß nicht«, sagte der Jüngere, »sie wollen uns ja Bescheid sagen, wenn wir ablösen sollen …«
Der Ältere erhob sich schnell. Er blies das Licht aus, stülpte den Stahlhelm über und schlug die Decke beiseite. Was durch die Öffnung hereinkam, war kein Licht. Nur kühle feuchte Finsternis, dann schnippte der Ältere die Zigarette aus und steckte den Kopf hinaus.
»Verdammt«, murmelte er draußen, »nichts zu sehen. He!« rief er halblaut. Dann kam sein dunkler Kopf wieder zurück, und er fragte:
»Wo ist denn das nächste Loch?«
Der Jüngere tastete sich hoch und stand nun neben dem anderen in der Öffnung.
»Sei mal still«, sagte der Ältere plötzlich scharf und leise. »Da kriecht was rum.«
Sie blickten dahin, wo vorne war. In der stillen Finsternis war wirklich das Geräusch eines kriechenden Menschen zu hören, und ganz plötzlich
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