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Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck

Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck

Titel: Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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warf auch er sich blitzschnell neben den, der am Boden hockte, und riß ihm einen Stoffbeutel aus der Hand.
    »Oh«, sprach auch er, und alles, was es an menschlichem Entsetzen geben konnte, sprach aus diesem Laut.
    Der, der den anderen aus der Erde gerufen hatte, wandte sich ab,
    denn der, der aus der Erde gekommen war, hatte seine Pistole dem, der unten hockte, an den Kopf gesetzt und drückte jetzt ab.
    »Zähne«, murmelte er, als der Knall verklungen war. »Goldzähne.« Sie gingen sehr langsam zurück und traten sehr vorsichtig auf,
    solange sie in dem Bereich waren, wo die Toten lagen.
    »Ihr seid dran«, sagte der, der aus der Erde gekommen war, bevor er wieder in der Erde verschwand.
    »Ja«, sagte der eine nur, und auch er schlich sich langsam durch den Schlamm zurück, bevor er wieder in der Erde verschwand.
    Er hörte gleich, daß der Jüngere noch immer nicht schlief; wieder dieses sinnlose Rascheln, wenn jemand nicht schlafen kann.
    »Mach Licht«, sagte er leise.
    Die gelbe Flamme zuckte wieder auf und erhellte schwach das kleine Loch.
    »Was ist los«, fragte der Junge entsetzt, als er das Gesicht des Älteren sah.
    »Der Posten ist weg, du mußt aufziehen.«
    »Ja«, sagte das Kind, »gib mir die Uhr bitte, damit ich die anderen wecken kann.«
    »Hier.«
    Der Ältere hockte sich auf sein Stroh und zündete eine Zigarette an, er blickte nachdenklich dem Jungen zu, der das Koppel umschnallte, den Mantel überzog und sich eine Handgranate entschärfte und dann mit müdem Gesicht die Maschinenpistole auf Munition untersuchte.
    »Ja«, sagte der Kleine dann, »auf Wiedersehen.«
    »Auf Wiedersehen«, sagte der Ältere, und er blies die Kerze aus und lag in völligem Dunkel ganz allein in der Erde …
    Wir Besenbinder

    Die Gutmütigkeit unseres Mathematiklehrers war ebenso groß wie sein cholerischer Drang; er pflegte in die Klasse zu stürzen – Hände in den Taschen –, seinen Zigarettenstummel in den Spucknapf links neben dem Papierkorb zu rotzen, dann stürmte er den Katheder und rief meinen Namen im Zusammenhang mit irgendeiner Frage, auf die ich nie Antwort wußte, wie immer sie auch heißen mochte …
    Nachdem ich hilflos zu Ende gestammelt hatte, trat er auf mich zu, ganz langsam unter dem Gekicher der ganzen Klasse, und knuffte meinen unzählige Male gemarterten Schädel mit brutaler Gutmütigkeit, wobei er mehrmals murmelte: »Besenbinder, du, Besenbinder …«
    Es war gewissermaßen eine Zeremonie, vor der ich zitterte meine ganze Schulzeit lang, um so mehr, da meine Kenntnisse in den Wissenschaften mit den steigenden Anforderungen nicht nur nicht zu wachsen, sondern abzunehmen schienen. Aber wenn er mich gehörig geknufft hatte, ließ er mir meine Ruhe, ließ mich meinen ziellosen Träumen, denn es war hoffnungslos, vollkommen hoffnungslos, mir Mathematik beibringen zu wollen. Und ich schleppte meine Fünf all die Jahre hinter mir her wie ein Sträfling die schwere Kugel an seinen Füßen.
    Das Imponierende an ihm war, daß er nie ein Buch bei sich trug, kein Heft und nicht einmal einen Zettel, sondern seine geheimen Künste aus den Ärmeln schüttelte und die ungeheuerlichsten Zeichnungen mit einer fast seiltänzerischen Sicherheit an die Tafel warf. Nur seine Kreise gelangen ihm nie. Er war zu ungeduldig. Er wickelte eine Schnur um ein ganzes Kreidestück, wählte den imaginären Mittelpunkt und raste dann so schwungvoll mit der Kreide rund, daß sie zerbrach und jämmerlich kreischend, aber flink über die Tafel hüpfte – Strich – Punkt, Punkt – Strich … und niemals trafen Anfangs- und Ausgangspunkt zusammen, so daß ein gräßlich klaffendes Gebilde entstand, wahrlich ein unerkanntes Symbol für die schmerzlich zerrissene Schöpfung. Und dieses Geräusch der kreischenden, knirschenden, oft auch knatternden Kreide war eine weitere Qual für mein ohnehin gemartertes Hirn, und ich pflegte aus meinen Träumen zu erwachen, aufzublicken, und kaum hatte er mich
    dann erspäht, als er zu mir stürzte, mich bei den Ohren nahm und mir befahl, seine Kreise zu ziehen. Denn diese Kunst beherrschte ich nach einem schlummernden, mir innewohnenden Gesetz fast fehlerlos. Wie köstlich war es doch, eine halbe Sekunde mit der Kreide zu spielen. Es war wie ein kleiner Rausch, die Umwelt versank, und eine tiefe Freude erfüllte mich, die alle Qual wettmachte … aber auch aus dieser süßen Versunkenheit wurde ich geweckt durch sein nun anerkennend brutales Reißen an meinen Haaren, und unter dem

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