Wanderungen durch die Mark Brandenburg
von denen, die bei Prag mitstürmten und bei Hochkirch unter Tod und Flammen aushielten; es entspricht dem einfach-demütigen, alles Anspruchsvolle zurückweisenden Sinne der Familie mehr und besser, wenn ich bei Genrebildern verweile, wie sie das Leben dreier auf einander folgender Generationen bot. Ich wähle diese drei Generationen aus den Trieplatzer Rohrs. Begleite mich der Leser zunächst nach Trieplatz selbst.
Trieplatz liegt eine Meile nördlich von Wusterhausen an der Dosse. Der Weg geht über Brunn, das, wie schon angeführt, früher ebenfalls den Rohrs zugehörte, seit Ende vorigen Jahrhunderts aber in den Besitz der Rombergs übergegangen ist. 76
Die ganze Gegend am Dosseufer hin, von dem wir uns übrigens mehr und mehr entfernen, ist, wie so viele Punkte der Mark, witwenhaft traurig und mit keinem andern Reize ausgestattet als dem einen, den ihr eben dies Witwenkleid leiht. Wohl ist dies Kleid unter den Händen der Kultur, die hier und dort, wie eine heitere Enkelin, ein buntes Band eingeflochten hat, um seinen vollen Trauergehalt gekommen, aber das, was vorherrscht und nach wie vor den Charakter gibt, ist doch immer noch das monotone Grau, das selbst der Ackerscholle nicht fehlt, die daliegt, als ob Asche über ihr frisches Braun ausgestreut worden wäre. Kein See, kein Weiher, kein Fluß; von Zeit zu Zeit eine Gruppe graugrüner Bäume, meist Pappeln und Weiden, die die Stelle andeuten, wo hinter Wipfeln ein Dorf vergraben liegt.
So hinter Wipfeln vergraben liegt auch Trieplatz. Im Näherkommen bemerken wir eine prächtige Linden- und Kastanienallee, deren Linien sich kreuzen und dann avenueartig auf den alten und neuen Hof des Gutes zuführen. Der alte Hof, jetzt eine bloße Meierei, war der Rittersitz des vorigen Jahrhunderts. Dort stand das Herrenhaus, ein einfacher Fachwerkbau, den Georg Moritz von Rohr bewohnte. Von ihm erzähle ich zuerst.
»Der Hauptmann von Capernaum«
Georg Moritz von Rohr war 1713 geboren. Selbstverständlich trat er in die Armee – in welches Regiment habe ich nicht erfahren können – war bei Ausbruch des Siebenjährigen Krieges Hauptmann, wurde in einer der ersten Schlachten schwer verwundet und zog sich, zu fernerem Kriegsdienste untauglich, auf sein väterliches Gut Trieplatz zurück.
Er war ein echter Rohr, einfach von Sitten, ein frommer Christ, dabei von jenem verqueren Zuge, der auch aus den schlichtesten Naturen Originale schafft. Georg Moritz von Rohr war ein solches Original. Er gab es schon dadurch zu verstehen, daß er sich selber den »Hauptmann von Capernaum« nannte. Die Worte, die, der Schrift nach, der wirkliche Hauptmann von Capernaum an Christum richtete: »Herr, ich bin nicht wert, daß du unter mein Dach gehest« entsprachen ganz seinem eignen demütigen Herzen, aber über all dies hinaus reizte ihn, seiner ganzen Natur nach, auch wohl das Scherzhafte, das in der selbstgewählten Bezeichnung eines »Hauptmanns von Capernaum« lag.
Kein Zweifel, seine Popularität zog Nahrung aus diesem Namen, was ihn indes in der ganzen Gegend am populärsten machte, das waren doch seine vielen Brautwerbungen, die nicht abrissen und ihn befähigten, es bis auf vier Frauen zu bringen. 77 Dies allein schon würde genügt haben, alle Zeugen der Grafschaft über ihn in Bewegung zu setzen, unser Hauptmann von Capernaum aber wußte nebenher noch dem immer wiederkehrenden Begräbnis- und Freiwerbungszeremoniell so viel eigentümlichen Beisatz zu geben, daß auch die jedem Klatschbasentum abgeneigtesten Kreise notwendig Notiz davon nehmen mußten. An dem jedesmaligen Begräbnistage ließ er singen: »Lobe den Herrn meine Seele«, hielt in Promptheit und Treue das Trauerjahr und sprach dann mit einem gewissen humoristischen Trotze: »nimmt Gott, so nehm ich wieder.« War aber dies Wort erst mal gesprochen, so begannen auch, vom nächsten Tag an, seine Freiwerbungen aufs neue, bei denen er ebenso konsequent und systematisch verfuhr, wie bei dem vorgeschilderten Funeralzeremoniell.
Und auch bei diesen Freiwerbungen ist näher zu verweilen. Georg Moritz von Rohr hatte nämlich drei nicht mehr junge Kusinen, die zu Tornow lebten und die Namen führten: Henriette, Jeannette und Babette von Bruhn. Im Trieplatzer Herrenhause, wo sie bloß als eine dreigegliederte Einheit galten, lief ihr Unterschied auf einen einzigen Buchstaben hinaus: Jettchen, Nettchen und Bettchen. Namentlich die beiden letztern von anheimelndem Klang.
Es war jedoch nicht dieser anheimelnde
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