Wanderungen durch die Mark Brandenburg
dem Kern. Die hohe, schwere Eichentreppe hinauf, treten wir, am Ausgang eines Korridors, in das Wohn- und Arbeitszimmer August Ludwigs von der Marwitz. Es ist ein großer luftiger Raum, den aneinandergereihte, verhältnismäßig niedrige Wandschränke, nach Art einer Birkenmaserpaneelierung umziehen. Hier entstanden jene Arbeiten, die, nach der Seite des Wissens und Talentes hin, hervorragend, in noch höherem Maße sich auszeichnen durch ihren Mut und ihre Selbständigkeit und der Mittelpunkt der Bestrebungen geworden sind, die sich, um es zu wiederholen, seitdem längst das Recht der Existenz erobert haben.
Unsere Aufmerksamkeit gehört aber nicht länger der Tätigkeit des Mannes, sondern nur dem Orte, an dem er tätig war. Die Wandschränke bergen in ihrer Tiefe den besten Teil jener mehrerwähnten Bibliothek, die der Hubertusburg-Marwitz dem Quintus Icilius bändeweis im Spiel abgewonnen, während die vielen Türfelder die Rahmen für ebenso viele Kupferstiche bilden. Diese Benutzung macht einen eigentümlichen und sehr gefälligen Eindruck, der unter der Wahrnehmung wächst, daß die Auswahl der Bilder mehr nach kleinen Liebhabereien, als nach irgendwelchem Kunstprinzip erfolgte. Neben den Abenteuern des Donquixote begegnen wir ernsten und heitern Szenen aus der Zeit der Befreiungskriege; alte französische Stiche und moderne Gravierungen lösen sich ab. Interessanter noch als diese Schränke selbst erscheinen die Gegenstände, die sich oberhalb derselben aufgestellt befinden: alte Porträts aus dem Hause Holstein-Beck, ein Brustbild Friedrich von Derfflingers, Sohnes des Feldmarschalls, Büsten und Vasen, und endlich ein Reiterkaskett und ein sonderbar geformter schwarzer Wachstuchhut, dessen nach hinten zu herabhängende Krempe an die Helgoländer Schifferhüte erinnert. Das Kaskett ist Eberhards v. d. Marwitz Chevaulegershelm aus der Schlacht von Groß-Aspern und den schwarzen Wachstuchhut trug August Ludwig v. d. Marwitz am Tage von Auerstedt. Die vordere hochstehende Krempe ist von Kugeln durchlöchert.
Den Tag selbst aber hat er in seinen hinterlassenen Schriften mit jener Klarheit und mutigen Unparteilichkeit geschildert, denen wir in der Gesamtheit seiner historischen Aufzeichnungen begegnen.
Jenseits der Oder
Küstrin
Die Wasser grau und schwer,
Und Wolken drüber her,
Und über den Mauern
Liegt es wie Trauern.
Jenseits der Oder, wo zwischen Werft und Weiden die Warthe rechtwinkelig einmündet, liegt Küstrin, ein durch die Jahrhunderte hin in den Geschichten unseres Landes oft genannter Name. Oft, aber selten freudig. Etwas finster Unheimliches ist um ihn her, und in meiner Erinnerung sehe ich den Ort, der ihn trägt, unter einem ewigen Novemberhimmel.
Über die Bedeutung des Namens fabeln die Chronisten in gelehrten Streitigkeiten; ich meinerseits begnüge mich mit dem Tatsächlichen, daß Küstrin um die Wende des Jahrtausends ein slawisches Fischerdorf, um zwölfhundert ein oppidum oder Flecken, und um dreizehnhundert ein civitas oder Stadt war. 1317 wird es zuerst als solche genannt. Ist dies sein Geburtsjahr als Stadt, so war es in eine schwere Zeit hineingeboren. Wenig später (1319) trat mit Markgraf Waldemar das askanische Haus vom Schauplatz ab und jenes bayerisch-luxemburgische Interregnum folgte, das gerade lange genug währte, die bis dahin blühende Mark in eine Wüste zu verwandeln. Von dem allgemeinen Elend war auch Küstrin betroffen, und die Blätter seiner Chronik erzählen ausgiebig von Ereignissen, wie sie damals in allen märkischen Städten, groß oder klein, so ziemlich dieselben waren: Fehden unter- und gegeneinander, Fehden mit den Pommern und Polen, Fehden mit Adel und Bischöfen, und dazwischen Überschwemmungen und Feuersbrünste, Mißernten und schwarzer Tod. Jedes Blatt ein Klageschrei. Und doch verklingt er an unserem Ohr, weil der statistisch-trockenen Aufzählung aller dieser Notstände die menschlich-erschütternden Züge fehlen. Und nur sie haben Wert, nur sie stimmen uns zu Lust oder Schmerz, und der scherzhaft zugespitzte Satz: »daß ein rauhes Wort Reinharts an Lorle uns mehr rühre als der Untergang einer Dynastie«, birgt einen Kern ernster und tiefer Wahrheit.
Schreckensvoll und doch inhaltsleer verging unseren Marken das 14. Jahrhundert.
Das ihm folgende fünfzehnte schien endlich eine Wandlung zum Bessern bringen zu sollen: die Nürnberger Burggrafen kamen ins Land. Aber die Wandlung, die mit ihnen kam, reichte nur bis an die Oder, und
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