Wanderungen durch die Mark Brandenburg
die Halbheit, die Unentschiedenheit, die in den höchsten Regierungskreisen maßgebend war. Wie war dieser Geist der Schwäche zu bannen? Er beschwor zunächst seinen älteren Bruder, alles alten Grolls uneingedenk zu sein, und, wie schon erzählt, eine Audienz bei Hardenberg nachzusuchen. Aber die Politik des Abwartens war noch nicht zu Ende.
Beide Brüder empfanden die Hardenbergschen Vertröstungen mit gleicher Bitterkeit; während aber der ältere nach Friedersdorf zurückkehrte, »auf Gott vertrauend, daß er sein großes begonnenes Wunder auch vollführen werde«, brannte dem jüngeren der Boden unter den Füßen. Er konnte sich nicht länger zur Untätigkeit verdammt sehen, und wenn Hardenberg nicht konnte oder wollte, so wollte er. In den ersten Tagen des Januar eilte er nach Ostpreußen. Hier wirkte er mit, daß sich die Provinz für Rußland und den General York erklärte und ihre Landwehr zu errichten begann.
Als die ersten Reiterkorps der Russen über die Weichsel gingen, schloß er sich dem Oberst Tettenborn an. Diesen suchte er, als man ins Neumärkische kam, zu kühnen Streifzügen gegen Frankfurt, Seelow und andere kleine Städte, in denen die Trümmer der französischen Armee Posto gefaßt hatten, zu veranlassen; Tettenborn aber, der sehr eitel war und durch einen nichtssagenden Streifzug gegen Berlin von sich reden machen wollte, opferte wirkliche Vorteile seiner Eitelkeit auf. Marwitz, als er das Spiel durchschaute, ging nach Breslau, um seinen Eintritt in die preußische Armee zu betreiben. Hier aber entwickelte sich alles zu langsam, und bei der Unruhe, die ihn verzehrte, konnte er das Hingehaltenwerden, das Abwickeln großer Dinge nach der Nummer, nicht länger ertragen. Er verließ Breslau wieder, gesellte sich abermals zu den Russen und wohnte dem Gefechte bei Lüneburg bei, das mit der Vernichtung des Morandschen Korps endigte. Darauf begab er sich zu Tschernyschew, wurde dem General Benkendorf attachiert und zeichnete sich bei Halberstadt und Leipzig aus, bei welcher Gelegenheit er dem ganzen Korps sehr wesentliche Dienste leistete.
Indessen, wie sich denken läßt, vermochte er den Gedanken nicht aufzugeben, diesen schönsten Kampf, der je gekämpft worden, auf preußischer Seite mitzukämpfen. Im Jahre 1809 hatte er im österreichischen Heere gestanden, jetzt stand er in russischem Dienst und war auch der Feind ein gemeinsamer, so schmerzte es ihn doch, halb unter fremden Fahnen zu fechten. Er bat also abermals um Anstellung im Preußischen. Da man ihn aber nun bei der Infanterie verwenden zu können meinte, und dieser Dienst weder seiner Neigung, noch seiner Körperkonstitution entsprach, so zerschlugen sich die Unterhandlungen abermals und er blieb bei den Russen.
Gleich nach dem Waffenstillstand, am 21. oder 24. August, war er mit Tschernyschew in der Nähe von Wittenberg und griff mit den Kosaken ein Karree polnischer Infanterie an. Das Pferd wurde ihm unterm Leib erschossen, die Kosaken kehrten um und ein Pole, der aus dem Karree heraustrat, hieb mit seinem kurzen Säbel auf ihn ein. Marwitz schützte sich mit seinem Arm, so gut er konnte, der ihm denn auch, samt der Hand, bei dieser Gelegenheit völlig zerhackt und zerhauen wurde. Endlich trat ein Offizier heraus und rettete ihn. Er ward in das Karree genommen und so angesichts der Seinigen, da die Kosaken nicht wieder zum Angriff zu bringen waren, erst nach Wittenberg, dann nach Leipzig geführt, wo er schlecht behandelt, eng eingesperrt und seine Wunden vernachlässigt wurden. Ende September gelang es ihm, sich unter vielen Gefahren und Abenteuern nach Prag hin zu retten. Hier wurden seine Wunden geheilt, aber die Hand blieb steif und unbrauchbar.
In Prag traf er seine Freundin wieder – Rahel. Sie selbst hat diesen Moment des Wiedersehens in Briefen an Varnhagen und ihren Bruder Robert in sehr anschaulicher Weise beschrieben. Ich gebe diese Stelle, zugleich die Worte hinzufügend, in denen sie, nach Marwitzens eigener Erzählung, die Gefechtsszene bei Wittenberg beschreibt: »Gestern führte Tieck einen freiwilligen Jäger, einen Enkel des Staatsraths Albrecht (aus Berlin) bei mir ein. Als ich eben mit Tieck und dem jungen Jäger verhandle, geht meine Thür auf und – Marwitz steht vor mir. Den Arm in einer Binde, ruppig, abgemagert, steht er da, einen zerrissenen Bauernkittel an und ein Stück Commisbrod in ein grobes Schnupftuch eingewickelt, in der linken Hand. Welcher Jubel! Er lebt, ist der Alte, ist gesund, hat aber
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