Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Übergang zu dem zu machen scheint, was ich zunächst noch zu sagen haben werde.
Nachdem ich nämlich bis hierher bemüht gewesen bin, das Bild der Frau von Wreech zu zeichnen, drängt sich uns nunmehr wieder die bis hierher zurückgewiesene Frage auf: Wie standen der Kronprinz und die Besitzerin von Schloß Tamsel zueinander? Wie eng oder wie weit waren die Grenzen ihrer Intimität gezogen?
Meine Antwort auf die Frage weicht, wie ich schon angedeutet, von der üblichen Anschauung ab. Es stehen sich die Grumbkowschen Klatschereien und die eigenhändigen Briefe des Kronprinzen ziemlich diametral einander gegenüber, und die vorsichtigste Prüfung dieser letzteren, selbst ein argwöhnisches Lesen zwischen den Zeilen, hat mich nur fester in der Überzeugung gemacht, daß das Ganze nichts anderes als die Huldigung eines etwas verliebten poetisierenden jungen Prinzen war – eine Huldigung, die, mal leichter, mal leidenschaftlicher auftretend, von Frau von Wreech abwechselnd als eine Zerstreuung, eine Ehre, eine Schmeichelei, aber gelegentlich auch als eine Last entgegengenommen wurde.
Dem entsprechend gestalteten sich ihre Beziehungen. Der sinnliche Reiz der jungen Frau mochte denselben vorübergehend eine andere Färbung geben; kein Zweifel, es kamen leidenschaftliche Stunden, aber sie kamen nur wie Fieberanfälle und ließen im wesentlichen das auf ästhetischen Interessen aufgeführte Verhältnis fortbestehen. Es war das geistreiche Bedürfnis, das immer wieder nach Tamsel hindrängte. Der Esprit der Küstriner Garnisonsoffiziere reichte nicht aus, ihr Verständnis für Verse war vollends ungewiß, und so sehen wir denn die Korrespondenz nach Tamsel hin nicht nur von zahlreichen Poetereien, von Hymnen, Sonetten usw. beständig begleitet, sondern auch die Briefe selbst in jener halb ironischen, halb humoristischen Weise abgefaßt, die sich immer da einstellt, wo junge Männer dem Zuge nicht widerstehen können, jeden Brief als eine kleine literarische Tat, als eine Anhäufung origineller Gedanken in die Welt zu senden.
Den ersten Brief des Kronprinzen übergehe ich hier; ich beginne mit dem zweiten, worin »der junge Poet«, dem nichts so sehr am Herzen liegt als das Schicksal seiner Verse, unverkennbar hervortritt.
»Madame«, so schreibt er, »die Heuschrecken, die das Land verwüsten, haben die Rücksicht genommen, Ihre Besitzungen und Ländereien zu verschonen. Ein zahlloses Heer viel schlimmerer und gefährlicherer Insekten indes steht auf dem Punkte, sich bei Ihnen niederzulassen, und nicht zufrieden damit das Land zu zerstören, haben diese Geflügelten die Dreistigkeit, Sie persönlich und in Ihrem eigenen Schlosse zu überfallen. Diese Geflügelten führen den Namen Verse, sind Sechsfüßler, haben scharfe Zähne und einen langgestreckten Körper, dazu eine gewisse Kadenz, die genau genommen ihr Grundprinzip ist und ihnen das Leben gibt. Es ist eine böse Rasse, jüngst vom Parnaß angekommen, wo sie der gute Geschmack nicht länger dulden wollte. Ein gleiches Schicksal wird ihrer in Tamsel harren. Wie immer dem sein möge, ich freue mich, daß Apollo sich aufgerafft hat, um seinen Musenberg von der Spreu der nüchternen Poeten zu säubern. Sein Staubbesen hat gründlich aufgeräumt. Ich selbst freilich bin unter den zumeist Getroffenen; aber ich verzeihe alles, verzeihe es um so lieber, als ich sehr wohl weiß, daß überall da, wo dem Bösen seine Strafe wird, auch das Gute seinen Lohn erhält. Sie, Madame, werden diesen Lohn empfangen, und ich bitte Sie dann um Ihr allergnädigstes Fürwort. Sagen Sie dem Apoll, daß er als Direkteur der Künste und Wissenschaften eigentlich doch zu grob operiert und mich kaum noch als einen Mann von Ehre behandelt habe. Bitte, sagen Sie ihm ferner, daß es eigentlich nur ein Mittel gäbe, solche Züchtigungen und Backenstreiche erträglich zu machen, nämlich die Stiftung eines Ordens vom schlechten Reim. Willigt er darin, so kann er uns von da ab treffen, wie er will, wir werden es ruhig und dankbar hinnehmen – Ritter, die wir dann sind.«
So der Brief. Der Kronprinz hat in den ersten Zeilen desselben ein ganzes Heer von Versen angekündigt, »Sechsfüßler mit scharfen Zähnen und langgestrecktem Körper«, und diese Verse, die dem Briefe beiliegen, so wie andere, die später folgten, beschäftigen uns jetzt. Alle teilen sie sich in zwei Gruppen: in solche, die in direkter Huldigung gegen die schöne Frau geschrieben sind, und in solche, die ihr bloß zur Kritik
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