Wanderungen durch die Mark Brandenburg
der Offizier, der seinem Rachegelüste zum Opfer fiel, seit lange verhaßt. Einige behaupten, daß auch Eifersucht mit im Spiele gewesen sei. Gleichviel, am 5. Dezember früh geschah die Tat, Arnstedt selbst machte die Meldung davon und wurde, kaum aus dem Gefängnis entlassen, aufs neue dahin abgeführt. Die vorgesetzte militärische Behörde nahm es, wie selbstverständlich, sehr ernst, sah von allen Rücksichten ab und ließ ihn in Ketten legen. Er machte jedoch das Unmögliche möglich und führte, trotz dieser Ketten und sonstiger Behinderungen, eine lebhafte Korrespondenz, die nicht bloß bruchstückweise wie die vorhergehende, sondern in ihrer Totalität mir vorliegt. Ihr charakteristischer Zug ist ein ungeheures Maß von Selbstsucht und Leichtsinn. An diesem Leichtsinn nimmt einigermaßen auch der Freund, Adalbert v. L., teil, an den sich die Briefe richten. Bis zuletzt sprechen sie von Ball, Vereinen, Kotillonorden und Liebesgeschichten. Aber das ist nicht das Schlimmste. Schlimmer ist der Gefühlsmischmasch, das entsetzliche Durcheinander von Sentimentalität und Obszönität, in welcher Hinsicht diese Briefe vielleicht einzig dastehen und geradezu ein psychologisches, sicherlich ein zeitbildliches Interesse beanspruchen dürfen. Oft wechselt der Inhalt von Zeile zu Zeile; Liebe zu Mutter und Geschwistern, Anflüge wirklicher Herzensneigung, Anruf und Gebete zu Gott, Gedichte, Flehen um Erhörung, Freundschaftsversicherungen (auch ehrlich gemeinte), Rachegelübde, Vergiftungspläne, Samtrock, Blumensträuße, Pikschlitten und Gitarre, Witzeleien und Zynismen, – in diesem Mengemus geht es fort bis zur letzten Stunde, bis ans Schafott. Von Reue keine Spur; es ist als ob er einfach ein ihm feindliches Tier über den Haufen geschossen habe. Was ihn beschäftigt, ist nur die Frage: »Komme ich bald wieder frei? Und wie hübsch wird es dann sein!« Eine bodenlose Rücksichtslosigkeit in jedem Wort, und nur immer auf Augenblicke dämmert in ihm die Vorstellung von dem Ernst seiner Lage. Eine wahre Höllenlektüre, deren Kernstücke sich der Mitteilungsmöglichkeit entziehen, aber deren anständigere Stellen auch vollkommen ausreichen, um die Häßlichkeit jener halben, unehrlichen und verlogenen Zeit der dreißiger Jahre zu demonstrieren.
Emil von Arnstedts erster Brief aus dem Gefängnis
30. Dezember 1836. Mein lieber Adalbert. Mit Dir unterhalte ich mich am liebsten, denn Du bist mein Vertrauter. Daher sollst Du etwas von jenem Morde hören. Du reistest doch Freitag Abend ab, an jenem Tage, dem der schönste Abend meines Lebens folgte. Ich sprach mit Deiner Mutter und äußerte ihr mein Bedauern über die Reise. Klara war so gut, so liebenswürdig, wie ich sie nie sah; ich überließ mich ganz der Freude, obgleich ich schon eine trübe Ahnung hatte. Leutnant Keßler, Putlitz, Gauvain, waren auch da; mit letzterem tauschte ich noch die Kotillon-Dame (Klara gegen Modeste) und wir waren sehr vergnügt. Emma Bantz, die Schiller, die eine Faller (Sidonie) und mehrere hübsche Mädchen (Flora) waren da. Nach dem Balle fuhr Klara nach Hause und ich begleitete Flora. Sonnabend gehe ich in die Divisionsschule, Sonntag auf Parade; fragt Wenzel mich, ob ich Donnerstag 9 Uhr abends zu Hause gewesen sei? Ich sage »ja«. Da meint er, »es ist eine ungeheure Frechheit von Ihnen, das zu behaupten«. Er zeigt mich an, beide Obersten machten mich schlecht, und ich erhalte wieder mal 24 Stunden Arrest. Es kochte fürchterlich in mir. Ich wollte zu Schlomkas gehen, wo Klara war, auf dem Beamtenverein. Alles war vorbei, ich mußte in der Stube bleiben. Kurze Zeit nach der Parade kommt Wenzel wieder zu mir und macht mich schlecht, »daß meine Stube nicht so in Ordnung sei«, während doch mein Bursche auf Wache war. Nicht die Worte selbst, sondern die Art und der Ton, wie sie gesagt wurden, haben mich so in Wut gesetzt. Dazu kam, daß mir mein Onkel (es war dies der später kommandierende General von Werder) sagte, »er würde sich genötigt sehen, den König um meine Entlassung zu bitten«. Ich war wütend. Hätte nur ein Mensch freundlich mit mir gesprochen, so wär' ich auf andere Gedanken gekommen. Hättest Du mir doch zur Seite gestanden! Kurz, ich faßte den Entschluß, meinem Leben ein Ende zu machen. Pistol, Pulver, Blei, alles war bald angeschafft und die Waffe geladen. Da dacht' ich an meine Mutter, an meine Freunde und Kameraden, an Dich und vor allem an meine liebe Klara. Ohne Abschied konnte ich nicht von
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