Wanderungen Durch Die Mark Brandenburg: Band 3, Havelland
nicht hatte glücken wollen, das glückte nunmehr, in ebendiesen Interregnumstagen, einer dritten Macht, die, an das Alte sich klug und weise anlehnend, ziemlich gleichzeitig mit jenen beiden ins Dasein sprang.
Diese dritte Macht (der Leser ahnt bereits, welche) hatte von vornherein den Vorzug, alles Fremdartigen entkleidet, auf unserem Boden aufzutreten; – märkisch national, ein Ding für sich, so erschien die Werdersche . Sie war dem Landesgeschmack geschickt adaptiert, sie stellte sich einerseits in Gegensatz gegen die Weiße und hatte doch wiederum so viel von ihr an sich, daß sie wie zwei Schwestern waren, dasselbe Temperament, dasselbe prickelnde Wesen, im übrigen reine Geschmackssache: blond oder braun. In Kruken auftretend und über dreimal gebrauchten Korken eine blasse, längst ausgelaugte Strippe zu leichtem Knoten schürzend, war sie, die Werdersche, in ihrer äußerlichen Erscheinung schon, der ausgesprochene und bald auch der glückliche Konkurrent der älteren Schwester, und die bekannten Kellerschilder, diese glücklich-realistische Mischung von Stilleben und Genre, bequemten sich mehr und mehr, neben der blonden Weißen die braune Werdersche ebenbürtig einzurangieren. Die Verhältnisse, ohne daß ein Plan dahin geleitet hätte, führten über Nacht zu einer Teilung der Herrschaft. Die Werdersche hielt mehr und mehr ihren Einzug über die Hintertreppe; in den Regionen der Küche und Kinderstube erwuchs ihr das süße Gefühl, eine Mission gefunden und erfüllt zu haben; sie wurde Nahr bier in des Wortes verwegenster Bedeutung, und das gegenwärtige Geschlecht, wenn auch aus zweiter Hand erst , hat Kraft und Leben gesogen aus der »Werderschen«.
Dessen seien wir gedenk. Das Leben mag uns losreißen von unserer Amme; aber ein Undankbarer, der sie nicht kennen will oder bei ihrem Anblick sich schämt.
Sieh nur, sieh, wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß, in Breit' und Länge,
So manchen lustigen Nachen trägt;
Und bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
»Faust«
Soviel über die »Werdersche«. Wir kehren zu den »Werderschen« zurück.
Vom Knie bis zur Stadt ist nur noch eine kurze Strecke. Wir schritten auf die Brücke zu, die zugleich die Werft, der Hafen- und Stapelplatz von Werder ist. Hier wird aus- und eingeladen, und die Bilder, die diesen Doppelverkehr begleiten, geben dieser Stelle ihren Wert und ihre Eigentümlichkeit. Der gesamte Hafenverkehr beschränkt sich auf die Nachmittagsstunden; zwischen fünf und sechs, in einer Art Kreislauftätigkeit, leeren sich die Räume des aus der Hauptstadt zurückkehrenden Dampfers und seines Beikahns wie im Fluge, aber sie leeren sich nur, um sich unverzüglich wieder mit Töpfen und Tienen zu füllen.
Es ist jetzt fünf Uhr. Der Dampfer legt an; die Entfrachtung nimmt ihren Anfang. Über das Laufbrett hin, auf und zurück, in immer schnellerem Tempo, bewegen sich die Bootsleute, magere, aber nervige Figuren, deren Beschäftigung zwischen Landdienst und Seedienst eine glückliche Mitte hält. Wenn ich ihnen eine gewisse Matrosengrazie zuschriebe, so wäre das nicht genug. Sie nähern sich vielmehr dem Akrobatentum, den Vorstadt-Rappos, die sechs Stühle übereinandertürmen und, den ganzen Turmbau aufs Kinn oder die flache Hand gestellt, über ein Seil hin ihre doppelte Balancierkunst üben: der Bau darf nicht fallen und sie selber auch nicht. So hier. Einen Turmbau in Händen, der sich aus lauter ineinandergestülpten Tienen zusammensetzt und halbmannshoch über ihren eigenen Kopf hinauswächst, so laufen sie über das schwanke Brett und stellen die Tienentürme in langen Reihen am Ufer auf. Im ersten Augenblick scheint dabei eine Willkür oder ein Zufall zu walten; ein schärferes Aufmerken aber läßt uns in dem scheinbaren Chaos bald die minutiöseste Ordnung erkennen, und die Tienen stehen da, militärisch gruppiert und geordnet, für den Laien eine große, unterschiedslose Masse, aber für den Eingeweihten ein Bataillon, ein Regiment, an Achselklappe, Knopf und Troddel aufs bestimmteste erkennbar. So viele Gärtner und Obstpächter, so viele Compagnien. Zunächst unterscheiden sich die Tienen nach der Farbe , und zwar derart, daß die untere Hälfte au naturel auftritt, während die obere, mehr sichtbare Hälfte in Rot oder Grün, in Blau oder Weiß sich präsentiert. Aber nicht genug damit. Auf diesem breiten Farbenrande befinden sich, zu weiterer
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