Wanderungen II. Das Oderland.
Französische Revolution und ihre Ursachen bildeten natürlich einen unerschöpflichen Stoff für die Unterhaltung. Der ehemalige Gesandte, der ein Vierteljahrhundert und länger den Ereignissen der französischen Hauptstadt gefolgt war und mit scharfem Auge die Schwächen und Fehler des Hofes, die Machinationen der politischen Gegner und die Verworfenheit, Keckheit und dämonische Zuchtlosigkeit der Volksmassen und ihrer Führer beobachtet hatte, war natürlich schon damals befähigt, Aufschlüsse über die Triebfedern und zugleich eine Gesamtdarstellung des großen Ereignisses zu geben, wie es der Geschichtschreibung, der ein Wust traditioneller Lobpreisung im Wege stand, erst in viel späteren Jahren möglich geworden ist. Er hatte alle kleinen und schlechten Leidenschaften in dem Hexenkessel tätig gesehen und mußte natürlich, durch die Lebendigkeit seiner Schilderungen und die Überlegenheit seines politischen Urteils, Anschauungen befestigen, zu denen die Keime von Anfang an im Gemüt unseres Marwitz gelegen hatten. Er war von Natur Royalist; von da ab begann er es auch mit Bewußtsein zu werden.
Noch mehrere Jahre lang blieb Marwitz im Regiment Gensdarmes, bis er im August 1802 seinen Abschied nahm. Was ihn direkt dazu bestimmte, ist schwer zu sagen. Waren es Vorgänge im Regiment, die ihm den Dienst verleideten, war es der frivole Ton der Residenz, der seinem auf Ernst und Wahrheit gestellten Wesen widerstand, oder war es seine Verlobung mit der schönen Gräfin Franziska von Brühl, die im Juli desselben Jahres stattgefunden hatte, gleichviel, er quittierte den Dienst und zog sich nach Friedersdorf zurück. Die Sehnsucht nach der väterlichen Scholle war erwacht; der Pflug trat an die Stelle des Schwertes. Sein ganzes Wesen ließ keine Halbheit zu, und mit demselben Ernst, mit dem er Soldat gewesen war, ging er jetzt an die Bestellung seiner Äcker, an die Pflege seines Guts. 1803 vermählte er sich. Aber trübe Sterne waren über Schloß Friedersdorf aufgegangen, und der Tod trennte nach kaum Jahresfrist ein Band, das die innigste gegenseitige Neigung geschlossen hatte. Marwitz bestattete die geliebte Frau, die sein Freud und Stolz gewesen war, und schrieb auf den Grabstein: »Hier ruht mein Glück.«
»Hier ruht mein Glück«, und in der Tat, es war, als habe Marwitz sein Glück begraben. Überall, wo sein Herz am verwundbarsten war, da wurd es jetzt verwundet. Was von dem Gange der großen Weltereignisse in seine Einsamkeit drang, steigerte nur die Niedergedrücktheit seines Gemütes. Endlich kam ein großer Schlag, und die politischen Vorgänge, die bis dahin nur Bitteres zu Bitterem gefügt hatten, jetzt schufen sie einen leidenschaftlichen Groll in seinem Herzen, und die Flamme hellen Zorns, die aufschlug, ward ihm zum Segen, indem sie ihn seinem Brüten entriß.
Der Napoleonische Übermut hatte Schmach auf Schmach gehäuft, neutrales preußisches Gebiet war in herausfordernder Weise verletzt worden; das durfte, das konnte nicht ertragen werden. Österreich und Rußland standen bereits im Felde; Preußen mußte seine Truppen zu dem vereinigten Heere beider stoßen lassen; der Krieg war sicher – wenigstens in Marwitz' Augen. Er riß sich heraus, suchte beim Könige seinen Wiedereintritt nach, erhielt ihn und wurde mit dem Range eines Rittmeisters zum Adjutanten des Fürsten von Hohenlohe ernannt.
Aber nicht jeder in preußischen Landen war damals ein Marwitz. Viele wurden durch Furcht und selbstsüchtige Bequemlichkeit in ihren Ansichten bestimmt, andere trieben das traurige Geschäft der »Staatskünstelei«. Noch viele Jahre später konnte Marwitz in nur zu gerechtfertigtem Unmut ausrufen: »Was redet man beständig von dem edlen Enthusiasmus von 1813? 1805 war es Zeit, edlen Enthusiasmus zu zeigen. Damals galt es, noch ehe man selbst in Großem und Kleinem etwas verloren hatte, Schmach und Verderben vom Vaterlande fernzuhalten. Als nachher, wie zu gerechter Strafe, ein jeder in seinem Hause geplagt und gepeinigt und, um ein Wesentliches nicht zu vergessen, die französische Armee in Rußland durch die Strafgerichte Gottes vernichtet war – da war es keine Kunst, Enthusiasmus zu zeigen.«
Der Tag von Austerlitz brach an, ehe Preußen sich entschlossen hatte; nach diesem Tage war es unnötig, noch kriegerische Entschlüsse zu fassen. Es blieb Friede, freilich ein Friede wie Gewitterschwüle, und Marwitz, nachdem er zum zweiten Male seinen Abschied genommen, kehrte nach dem väterlichen
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