Wanderungen II. Das Oderland.
Zweiter Teil: Das Oderland
Vorwort zur dritten Auflage
Die neue (dritte) Auflage von »Oderland« hat mir erwünschte Gelegenheit geboten, auch diesem Bande, wie Band I, eine seinem Titel in größerer Genauigkeit entsprechende Gestalt zu geben. Es wurden alle Kapitel – bis auf eines: »Schloß Kossenblatt« 1) –, die sich aus benachbarten Landesteilen hier eingedrängt hatten, ausgeschieden und durch andre, die dem Oderlande beziehungsweise dem Lande Barnim-Lebus ihrem Stoffe nach angehören, ersetzt. Es sind dies namentlich die Kapitel: »Gusow«, »Küstrin«, »Prenden«.
Und auch diesmal wieder hat diese strenger durchgeführte lokale Begrenzung einige Vorteile mit sich gebracht oder wenigstens nicht ausgeschlossen, und wie Band I es mir gestattete, die Tage des großen Königs in einer gewissen, wenn auch selbstverständlich, der ganzen Anlage des Werkes nach, vielfach eingeschränkten und lückenhaften Ausführlichkeit zu schildern, so hat Band II es mir ermöglicht, die Tage des Großen Kurfürsten in einer ähnlich bedingten Vollständigkeit zu geben. In »Prenden«, »Friedersdorf«, »Gusow«, »Tamsel«, »Möglin« und »Prädikow« steckten, lokaliter eingekapselt, die Lebensgeschichten der Sparrs, Görtzkes, Derfflingers, Schönings und Barfus', und in diesen Lebensgeschichten wiederum lebte die Geschichte der ganzen Zeit.
Auch in Zukunft werd ich ähnliche Zusammenfassungen, die Darstellung ganzer Epochen innerhalb eines engen Rahmens, als wünschenswertes Ziel im Auge behalten.
Für heute beschränk ich mich auf den Wunsch, diesem zweiten Bande der »Wanderungen« auch in seiner neuen Gestalt die Zustimmung alter Freunde gewahrt zu sehen.
Berlin, 18. Oktober 1879 Th. F .
----
Schloß Kossenblatt, wiewohl örtlich einem andern Landesteile (Beeskow-Storkow) zugehörig, mußte hier inhaltlich , um der Biographie des Feldmarschalls von Barfus einen Abschluß zu geben, mit aufgenommen werden. ._.
----
Das Oderbruch und seine Umgebungen
Von Frankfurt bis Schwedt
Saßen all auf dem Verdecke,
Glocken klangen, alte Zeit,
Und der Himmel wurde blauer,
Und die Seele wurde weit.
Zwischen Frankfurt und Stettin ist während der Sommermonate ein ziemlich reger Dampfschiff verkehr. Schleppschiffe und Passagierboote gehen auf und ab, und die Rauchsäulen der Schlote ziehen ihren Schattenstrich über die Segel der Oderkähne hin, die oft in ganzen Geschwadern diese Fahrt machen.
Von besonderer Wichtigkeit sind die Schleppdampfer. Handelt es sich darum, eine wertvolle Ladung in kürzester Frist stromauf zu schaffen, so wird ein Schleppschiff als Vorspann genommen, und in vierundzwanzig Stunden ist erreicht, was sonst vielleicht vierzehn Tage gedauert hätte. Ihre eigentlichen Triumphe aber feiern diese Schleppschiffe, wenn sie, wie von ohngefähr, plötzlich inmitten einer kritisch gewordenen Situation erscheinen und durch ihre bloße Erscheinung die Herzen der geängstigten Schiffer wieder mit Hoffnung erfüllen. Sie sind dann, was der Führer für den Verirrten, was der Zuzug für die Geschlagenen ist, und beherrschen natürlich die Situation. Diese Situation ist fast immer dieselbe: entweder hat der Rettung erwartende Kahn sich festgefahren und müht umsonst sich ab, wieder flott zu werden, oder aber, er ist in ein mit Flößen verfahrenes Défilé geraten, so daß jeden Augenblick ein Zusammenstoß zu gewärtigen steht. Im ersteren Falle handelt es sich um Kraft , im anderen Falle um Geschick und Schnelligkeit , um das Bedenkliche der Lage zu überwinden, und der Schleppdampfer ist in der glücklichen Verfassung, beides, je nach Bedürfnis, bieten zu können. Aber freilich – gegen Zahlung. Nun beginnen die tragikomischsten Unterhaltungen, die man sich denken kann. Sie werden vom Kajütendach des Oderkahns einerseits, andererseits vom Radkasten des Dampfers aus geführt. Der geängstigte Schiffer hebt zunächst einfach seine Hand in die Höh, alle fünf Finger deutungsreich ausspreizend. Der Mann auf dem Radkasten schlägt eine verächtliche Lache auf und donnert seinen Befehl zu größerer Eile in den Maschinenraum hinunter, bis das bittende »Hallo« des Schiffers ihn wieder zu einem »stop« bestimmt. Der Schiffer hebt jetzt seine Hand mit den gespreizten Fingern zweimal in die Luft. Dasselbe Lachen als Antwort. So geht es weiter, bis der Kahnführer, der, namentlich wenn er zwischen Holzflößen steckt, seinen Ruin vor Augen sieht, die Summe bewilligt, die der Kapitän des Dampfers zu
Weitere Kostenlose Bücher