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Wanderungen II. Das Oderland.

Wanderungen II. Das Oderland.

Titel: Wanderungen II. Das Oderland. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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lateinisch verstand«. Die Lehrer ließen es eben gehen. Endlich entdeckte er sich dem Rektor des Gymnasiums, nahm Privatstunden und holte in einem einzigen Jahre alles Versäumte so völlig nach, daß er, abermals ein Jahr später, imstande war, nach Göttingen zur Universität abzugehen.
    Sein ganzes Wesen damals, im Gegensatz zu seinen reiferen Jahren, war genialisch und exzentrisch; er hatte etwas Wunderkindartiges an Gaben wie an Unarten. Mit großem Eifer wandt er sich der Medizin zu und schien namentlich bestimmt, in der Chirurgie Bedeutendes zu leisten. Er verweilte tagelang, das Seziermesser in der Hand, auf dem anatomischen Saal, sah aber bei der ersten Operation, der er beiwohnte, daß er seltsamerweise wohl zum Anatomen am leblosen, aber nie und nimmer zum Chirurgen am lebendigen Organismus bestimmt sein könne, denn er fiel in Ohnmacht – eine Erscheinung, die sich wiederholte, sooft er den Versuch machte, die angebotene Scheu zu überwinden. Er wählte nun Pathologie, hörte Collegia bei den berühmten Professoren Schröder und Baldinger, die beide ein ganz besonderes Vertrauen zu ihm faßten, und genoß, trotz seiner noch knabenhaften Erscheinung, ein solches Ansehen bei alt und jung, daß kein erheblicher Krankheitsfall vorkam, bei dem er nicht zu Rate gezogen worden wäre. Dies gab ihm, neben vielem Selbstgefühl, auch eine besondere Position, eine Art Mittelstellung zwischen Lehrern und Schülern.
    Den eigentlich studentischen Kreisen, namentlich seinen speziellen Fachgenossen, wurd er immer fremder, und nur Bücher, philosophische Studien und philosophische Freunde schienen ihm eines vertrauteren Umgangs wert. Unter den letzteren nahm Johann Anton Leisewitz, der Dichter des »Julius von Tarent«, den ersten Rang ein. Thaer selbst schreibt darüber: »Unsere Seelen waren in beständigem Einklang, fast hatten wir nur ein Herz.« Ihre Freundschaft wurzelte, neben den Beziehungen des Herzens, in gleichen Interessen und Bestrebungen, und wiewohl Thaer, nach unbedeutenden ersten Versuchen, die noch in seine Schulzeit fielen, die dichterische Produktion nicht als sein eigentliches Feld erkannt hatte, so war er doch, neben philosophischem Scharfblick, mit so viel ästhetischer Fühlung ausgerüstet, daß er dem dichterisch produktiven Freunde als Kritiker hoch willkommen war. Sie lebten drei Jahre mit- und nebeneinander; auch nachdem beide Göttingen verlassen (1774), bestand ihr Freundschaftsverhältnis fort, und die wenigen Briefe, die, aus einer gewiß sehr lebhaften Korrespondenz zwischen den beiden, noch jetzt existieren, geben Auskunft darüber, welchen Einfluß Leisewitz dem kritischen Freunde auf seine Arbeiten gestattete. Einer dieser aufbewahrten Briefe enthält eine sehr eingehende Kritik des »Julius von Tarent«, und ein aufmerksames Verfolgen des berühmten Trauerspiels in seiner gegenwärtigen Gestalt zeigt zur Genüge, wie bereitwillig die wohlmotivierten Bemerkungen Thaers von dem Freunde und Dichter benutzt worden sind.
    Aus dieser Zeit studentischen Zusammenlebens mit Leisewitz datieren aber noch andere Arbeiten Thaers, die ihn uns nicht nur auf kritischem, sondern auch auf produktivem Gebiete zeigen, freilich auf einem der Kritik verwandten, auf dem der philosophisch-theologischen Untersuchung. Thaer selbst schreibt über diese später in etwas veränderter Gestalt so berühmt gewordene Arbeit: »Ich erschuf mir damals – gleich wenig mit den Orthodoxen wie mit den neuern sogenannten ›Berliner Theologen‹ einverstanden – ein selbständiges religionsphilosophisches System und brachte es flüchtig zu Papier. Es ward wider meinen Willen abgeschrieben, fiel in die Hände eines großen Mannes, der den Stil etwas umänderte und einen Teil davon, als Fragment eines unbekannten Verfassers, herausgab. Bis jetzt wissen es nur drei lebende Menschen, daß ich der Urheber bin.« In diesen Worten Thaers wird weder Lessing genannt noch mit Bestimmtheit angegeben, welches der »Fragmente eines Wolfenbüttelschen Unbekannten« Thaer für sich in Anspruch nimmt; es ist aber nach den scharfsichtigen und sehr eingehenden Untersuchungen W. Körtes, des Thaerschen Anverwandten und Biographen, sehr wahrscheinlich, daß die kleine, bis dahin Lessing zugeschriebene Schrift »Über die Erziehung des Menschengeschlechts« eine Jugendarbeit Albrecht Thaers ist, die, von Leisewitz an Lessing übergeben, von diesem teils überarbeitet, teils fortgesetzt wurde.
    Fast gleichzeitig mit diesem Aufsatze schrieb

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